Lucas
Puls.
»Alles in Ordnung mit ihm«, sagte er und stand auf. »Er kommt gleich wieder zu sich. Leg ihn auf die Seite und lös ihm das, was er anhat.« Er schaute die Straße hinunter und beobachtete Jamie, wie er in die Ferne davontorkelte, dann wandte er sich wieder mir zu. »Er ist weg. Ich schau nur schnell nach dem andern.«
Ich beobachtete, wie er hinüberging und sich neben Brendell hockte, dann kümmerte ich mich um Dominic. SeineHaut war blass und fühlte sich kalt an, sein Atem war immer noch ziemlich flach. Ich brachte ihn in die stabile Seitenlage. Seine Augen begannen zu flattern und ein schwaches Stöhnen war ganz hinten in seiner Kehle zu hören. Ich zog ein Tempotuch aus meiner Tasche, spuckte drauf und drückte es auf die eigroße Schwellung seitlich am Kopf.
Nach einer Weile hörte ich Lucas von hinten herankommen.
Ich schaute zu ihm hoch. »Wie geht’s Brendell?«
»Er wird’s überleben.«
Ich wischte einen Dreckfleck aus Dominics Gesicht. Lucas kauerte sich mit einer Hand voll zerdrückter Ampferblätter neben mich. Er legte eine Hand auf mein Bein und sagte, ich solle stillhalten, dann reinigte er vorsichtig die Wunde an meinem Knie. Die zerdrückten Blätter fühlten sich kühl und erfrischend auf meiner Haut an.
»Danke«, sagte ich.
Er lächelte.
»Ich meine, für alles. Wenn du nicht vorbeigekommen wärst, als du . . .« Meine Stimme fing an zu zittern und mein ganzer Körper bebte. »O Lucas . . . er wollte . . .«
Lucas nahm meine Hand und half mir aufzustehen. »Es ist vorbei«, sagte er. »Du bist in Sicherheit. Die werden dir nichts mehr tun.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es wird nie vorbei sein . . .«
Und dann brach ich zusammen und heulte. Ich weinte so stark, dass ich dachte, ich würde sterben. Die Tränen stiegen von irgendwo tief in mir hoch und quälten meinen Körper mit einem gewaltigen Zittern, das mir die Luft aus den Lungensog und mich nach Atem ringen ließ. O Gott, es schmerzte so schrecklich . . . alles schmerzte. Und deshalb musste ich noch stärker heulen. Lucas kam zu mir und nahm mich in die Arme. Ich hielt ihn fest und ließ die Tränen aus mir herausströmen.
»Es ist gut«, flüsterte er. »Es ist alles gut . . .«
Aber ich wusste, das stimmte nicht.
Als ich schließlich aufhörte zu weinen, fühlte ich mich ausgetrocknet, krank und hässlich. Meine Augen waren geschwollen, meine Brust schmerzte, mein Nacken tat weh und mein Gesicht war verschmiert von Rotz und Tränen. Auch meine Hände schmerzten vom krampfhaften Festklammern an Lucas. Als ich schniefte und nach meinem Taschentuch griff, entzog er sich mir sanft.
»Dein Bruder«, sagte er.
»Was?«
Er nickte in Dominics Richtung. Ich sah, wie Dom vorsichtig auf die Füße kam, seinen Kopf hielt und stöhnte.
»Was ist denn, verdammt noch mal, los?«, murmelte er, schwankte dabei hin und her und blinzelte in die Sonne. »Cait? Was machst du hier? Was ist passiert?« Er schielte nach Lucas, dann riss er die Augen auf und trat einen Schritt zurück. »Hey – was machst du . . .?« Er stöhnte wieder und hielt seine Hand an den Kopf. »Oh – wer hat mir eine verpasst? Warst du das? Wo ist Jamie –?«
»Halt die Klappe, Dom«, sagte ich.
»Was –«
»Halt einfach den Mund und hör zu.«
Wir setzten ihn hin und erklärten alles . . . na ja, fast alles. Ich schwächte Jamies Absichten ab und ließ ein paar unnötige Details aus, aber das, was er wissen musste, erfuhr er. Ich glaube, er hatte eine leichte Gehirnerschütterung abgekriegt. Zuerst schien er nicht recht zu verstehen, was ich sagte, sondern saß bloß mit einem benommenen Gesichtsausdruck da. Dann sprang er mit einem Mal auf die Füße und schimpfte und fluchte, er würde Jamie umbringen, Brendell umbringen . . .
»Hör auf«, seufzte ich.
»Ich bring den verfluchten Kerl
um
.«
»Halt die
KLAPPE
!«
Er starrte mich ganz gekränkt und beleidigt an. »Was? Was ist los? Ich hab nur –«
»Sei still«, fuhr ich ihn an, den Tränen nahe. »Sei einfach bloß still.«
Sein Mund öffnete sich und er versuchte etwas zu sagen, doch als er meinen Blick sah, ließ er es bleiben. Seine Einsicht hielt jedoch nicht lange an. Schon ein paar Sekunden später wandte er seine Aufmerksamkeit Lucas zu.
»Hä?«, sagte er. »Was guckst du so?«
Lucas lächelte. »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir mal ein bisschen miteinander reden.«
Nachdem wir mehrfach überprüft hatten, dass Jamie weg und Brendell immer noch ohne
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