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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Janne aus dem Taxi aussteigen. Aber Lucian tauchte nicht auf.
    Ich dachte wieder an die feindseligen Blicke, die er mir im Hausflur zugeworfen hatte. Lucian wusste genau wie ich, dass ich nicht zufällig dort gewesen war, aber hatte er die richtigen Schlüsse daraus gezogen? Ahnte er, dass ich von meiner Mutter ebenso hintergangenworden war wie er von seiner Therapeutin? Hatte er sich vielleicht sogar doch zusammenreimen können, dass Janne meine Mutter war?
    Jedenfalls schien er ihr nichts von unserer Begegnung im Hausflur erzählt zu haben, sonst hätte Janne sich anders verhalten. Ich fragte mich allerdings, wie seine letzte Stunde bei ihr verlaufen war und ob er überhaupt noch die Therapie fortsetzte.
    Aber all das Grübeln nutzte mir einen verdammten Dreck, denn ich hatte niemanden, der mir auf diese Fragen eine Antwort gab.
    Sebastian war wieder gesund, aber seine Haltung zeigte deutlich, dass er mir gegenüber nun endgültig auf Abstand ging. Meinen neuen Haarschnitt kommentierte er mit »nett« – und das war auch schon alles, was er in der letzten Woche zu mir gesagt hatte. Sheila und den Rest der Tussenfraktion schien er sich auch vom Hals halten zu wollen, in den Pausen saß er meist mit ein paar Jungs aus der Nebenklasse zusammen oder hatte ein Buch vor der Nase.
    Am folgenden Samstag bat Suse mich um einen Gefallen. Sie hatte noch Sachen in Dimos Proberaum. Ein paar CDs, an denen sie hing, einen Schal und eine Ledermütze. Auf dem Schulhof mied uns Dimo demonstrativ und ich hatte wenig Lust, mich vor seinem versammelten Jahrgang mit ihm anzulegen.
    Also nahm ich am frühen Samstagnachmittag die U-Bahn zum Hauptbahnhof und lief von dort zur Langen Reihe, wo Dimos Proberaum lag. Angekündigt hatte ich mich nicht, aber von Suse wusste ich, dass man Dimo meistens dort antraf.
    Das Haus, das Suse mir beschrieben hatte, war die Nummer 22 und auf einem Marmorschild am Eingang las ich, dass der Hamburger Volksschauspieler Hans Albers im September 1891 hier geboren worden war. Zwei Skulpturen, griechischen Göttern gleich, blickten mit kampflustigen Mienen und versteinerten Vollbärten von der Fassade auf mich herab. Dimos Proberaum befand sich im Hinterhof, inden ein arkadenförmiger Gang führte. Die alten Mauern waren von Graffiti übersät und der Hof sah im Unterschied zu der historischen Front nicht gerade einladend aus. Ich ging die Kellertreppe zu der blauen Metalltür hinunter, drückte mehrfach die Klingel und musste ein paar Minuten warten, ehe mir geöffnet wurde. Die Luft hier unten war muffig, es roch nach Müll und Ratten. Licht gab es nicht. Im Türrahmen des Proberaums stand Dimos Freund Leroy und sah mich erstaunt an. »Was willst du denn hier?«
    »Das würde ich gerne mit Dimo besprechen«, entgegnete ich knapp und drängte mich an ihm vorbei. Dimo saß auf einem abgewetzten Ledersofa und jammte auf seinem Bass, als ich mich vor ihn stellte.
    »Willst du vorsingen?«, fragte er sarkastisch, aber das unsichere Flackern in seinen Augen entging mir nicht.
    »Gerne«, sagte ich. »Ich kenne einen guten Song über Impotenz, magst du ihn hören?« Hinter mir prustete Leroy heraus und auf Dimos Hals erschienen rote Flecken. »Nein danke«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Also, was willst du?«
    »Suses Zeug«, sagte ich.
    Dimo stand auf, ging auf den blauen Metallspind zu und kramte Suses Schal und die Ledermütze heraus. »Hier.«
    »Die CDs«, befahl ich.
    Dimo seufzte. »Die muss ich erst suchen.« Ich setzte mich aufs Sofa. »Ich hab Zeit.«
    Dimo fuhr sich durch die Haare, warf einen Blick zu Leroy, der grinsend mit den Schultern zuckte, und machte sich dann an der CD Sammlung zu schaffen, die sich in einem Regal vor dem Fenster befand.
    »Das müsste alles sein«, sagte er, als er mir eine Handvoll CDs in die Hand drückte. »Sonst noch was?«
    »Ja«, zischte ich leise. »Wahre Schönheit ist nicht perfekt. Erinnerstdu dich? Hast du selbst gesagt. Aber du hast keine Ahnung, du jämmerlicher Wurm. Und deshalb sage ich dir: Wenn mir auch nur ein, und ich wiederhole: ein einziger dummer Spruch über Suse zu Ohren kommt, dann gnade dir Gott. Hast du mich verstanden?«
    Dimo versuchte, ein cooles Gesicht zu machen, aber es gelang ihm nicht. »Was denn?«, brummte er. »Holst du dann deine Lesbenmutter?«
    Ich sah ihn einfach nur an – und ging.
    Ursprünglich war Sankt Georg als Schwulenszene bekannt, aber in den letzten Jahren waren auch viele Cafés und Restaurants

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