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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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und hörte die Eselein rufen. Im Ernst, Suse! Lucian hat Träume, in denen ich vorkomme. Er erinnert sich deutlich an mich, an winzige Kleinigkeiten, die alle stimmen.«
    »Na ja, bis jetzt stimmen erst mal nur die Dinge aus deiner Vergangenheit«, sagte Suse beschwichtigend. »Das mit der Zukunft ist ja noch gar nicht gesagt.«
    Sie knuffte mich in die Seite. »Wie war das? Ein blutiger Affe aus Pappmaschee? Ein Pony mit kurzen Beinen?«
    »Nein, nicht kurze Beine.« Geistesabwesend schüttelte ich die Haarspitzen von der Jeans, als Suse plötzlich einen schrillen Schrei ausstieß.
    »Was?« Ich fuhr entsetzt zusammen. »Was ist denn jetzt los? Warum starrst du mich so an?«
    Suse sagte nichts. Sie stand auf und holte einen Spiegel von ihrem Schminktisch. Sie hielt ihn mir vor mein Gesicht, und als ich hineinsah, zitterte mein Spiegelbild.
    Ich sah meine neue Frisur. Meine Haare waren deutlich kürzer und ich trug einen Pony.
    »Oh mein Gott«, flüsterte ich. Suse ließ den Spiegel sinken. Aber ich war schon bei der Tür.
    Als ich nach Hause kam, hörte ich Spatz rufen. »Janne? Bist du das?«
    Ich antwortete nicht.
    »Rebecca?« Spatz’ Stimme klang panisch. »Kannst du bitte nach oben kommen?«
    Ich rannte die Wendeltreppe hoch und sah Spatz vor dem Vogelkäfig stehen, aus dem ein lautes, verzweifeltes Trillern ertönte. Jim Bob saß auf der Schaukel und schlug wild mit den Flügeln.
    Spatz drehte sich zu mir um. Für eine Sekunde starrte sie auf meine Haare. Sie machte ein Gesicht, als hätte sie einen Schock. Dann blickte sie auf ihre Handfläche. »Es ist wahr«, murmelte sie. »Es ist passiert. John Boy ist tot.«

FÜNFZEHN
    Der Tierarzt vermutete einen Schock. »Bei älteren Vögeln ist das keine Seltenheit«, sagte er, als wir in seiner Praxis anriefen, um einen Grund für John Boys plötzliche Todesursache zu erfragen. »Die Symptome gleichen denen eines Herzfehlers. Ohne jede Vorwarnung sackt der Vogel in sich zusammen und stirbt innerhalb weniger Sekunden.«
    Genau so war es gewesen. Als Spatz am Freitag auf dem Dachboden gesessen und gehäkelt hatte, war John Boy mit einem lauten Plumps von seiner Stange gefallen und hatte nach wenigen Sekunden aufgehört zu atmen.
    Wir begruben ihn noch am selben Abend im Garten hinter unserem Haus. Janne, die kurz nach mir nach Hause gekommen war, bastelte ein winziges Kreuz für John Boys Grab und rammte sich beim Zusammenhämmern fast den Nagel in den Finger. Sie war komplett neben der Spur, genau wie Jim Bob, der einsam und verstört in seinem Käfig hockte und nicht herauswollte, obwohl wir die Tür die ganze Zeit offen ließen.
    Was hinter Jannes Verfassung steckte, war natürlich klar. Als sie meine neue Frisur gesehen hatte, war sie leichenblass geworden, hatte einen Blick mit Spatz gewechselt, die abwehrend beide Hände erhoben hatte. Es war so unendlich schräg. Spatz wusste Bescheid. Janne wusste Bescheid. Ich wusste Bescheid. Aber das war Janne nicht klar und ich schwieg ebenso verbissen wie sie.
    Suse rief mich auf dem Handy an, als wir gerade wieder ins Haus zurückgingen. Als ich ihr erzählte, dass Lucians Traum wahr geworden war, reagierte sie fast noch verstörter als ich. Ich konnte nur noch daran denken, dass ich mit Lucian sprechen musste. Vielleicht lag es daran, dass der Schock langsam nachließ, oder daran, dass er durch John Boys Tod noch viel größer geworden war. Vielleicht wollte ich mich auch nur vergewissern, dass nicht ich diejenige war, die träumte. Scheißegal, was es war, ich musste mit ihm sprechen.
    So sah Suse es auch und ich war so froh, endlich nicht mehr allein mit alldem zu sein. Samstagmittag holte sie mich von zu Hause ab. Es war nebelig und kalt, aber es regnete nicht. Wir fuhren mit den Rädern durch die Gegend, klapperten wahllos ein paar Bars in Sankt Pauli und in der Schanze ab, fragten, ob ein junger Mann namens Lucian dort arbeiten würde, aber natürlich hatten wir kein Glück. Mittlerweile war ich so durch den Wind, dass ich tatsächlich drauf und dran war, Janne zur Rede zu stellen. Aber Suse hielt mich zurück.
    »Was, wenn das nach hinten losgeht?«, sagte sie. »Wenn deine Mutter nicht von sich aus mit dir spricht, lass sie lieber im Glauben, dass du nichts weißt.«
    Stattdessen schlug Suse vor, Wache vor Jannes Praxis zu halten. Sie schwänzte montags die Schule, ich dienstags. An den Nachmittagen verschanzten wir uns zusammen in einem kleinen Café gegenüber der Praxis, drei Tage lang. Zweimal sahen wir

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