Luciano
Sind Sie die gleiche Frau, die Sie waren, als man Sie dort
aus Ihrem Kloster geholt hat? Hat sich nichts geändert?«
Maria lächelte traurig.
»Natürlich haben Sie recht. Dort hatte ich Gewißheit,
die Tage hatten ihr Muster. Jetzt gibt es nur noch Zweifel.« Sie
zögerte, und als sie weitersprach, kamen die Worte aus ihrem
tiefsten Inneren. »Ich zweifle jetzt sogar an meiner Berufung.
Ich glaubte, Gott zu suchen, jetzt aber scheint es, als wollte ich
einzig und allein vor Antonio Luca fliehen.«
»Hassen Sie ihn so sehr?«
Maria legte die Hand aufs Herz.
»Es ist wie ein Stein da drinnen, ein ständiger Schmerz, der
nicht weichen will!« Sie lehnte sich zurück. »Aber
für Sie ist wohl alles anders. Sie lie ben ihn.«
»O ja, das ist für mich die einzige Gewißheit.«
Die beiden Frauen saßen schweigend da. Hinter ihnen tauch
ten Luciano und Savage in der Tür auf. Caterina mischte die Karten und legte sie aufs neue aus.
Maria sagte: »Kartenlegen?«
»Ja.«
»Das habe ich seit meiner
Kindheit nicht mehr gesehen. Meine Mutter hat immer versucht, in die
Zukunft zu sehen.«
»Wer Augen dafür hat, der sieht sie auch.«
»Unwiderruflich?«
»Das weiß ich nicht mit Sicherheit. Vielleicht nur eine War
nung. Eine Chance, den anderen Weg zu gehen.«
Maria schaute ihr eine Weile zu, dann sagte sie:
»Wir wollen sehen, was die Karten über mich zu sagen haben.«
Caterina zuckte die Achseln.
»Wenn Sie möchten. Ihre Zu kunft auf einer einzigen Karte,
obwohl ich nicht glaube, daß es dem Vatikan recht
wäre.«
Sie zählte rasch und deckte die
siebente Karte auf. Es war ein reichverziertes farbenfrohes Bild eines
jungen Mannes, der an den Knöcheln von einem Baum hing.
»Der Gehenkte«, sagte
sie. »Interessant. Das orthodoxe Christentum kennt kein
derartiges Symbol. Es ist für Männer und Frauen gleich. Der
Mensch ist in zwei Persönlichkeiten gespalten, er selber und doch
nicht nur er selber. Symbol eines Sühneopfers aus heidnischen
Zeiten. Sie leiden für andere, das ist Ihre Bestimmung.«
Maria stand auf. »Leben Sie
wohl, Caterina Scorza. Ich glaube nicht, daß wir einander
wiedersehen.«
Sie ging ins Haus, und Luciano und
Savage traten an den Tisch. Luciano nahm die Karten an sich und sagte
zu Savage: »Ein sehr abergläubisches Volk, wir
Sizilianer.«
Er zählte sieben Karten ab und
drehte die letzte um. Es war ein hölzernes Rad mit sechs Speichen,
darauf ein primitiv ge malter Drache.
»Das Glücksrad«,
sagte sie. »Das Symbol innerer Ordnung. Sie haben sich aus den
Banden der Gesellschaft befreit.«
»Gesehen durch die Eisenstäbe einer Gefängniszelle.«
Savage fragte: »Und was ist mit mir?«
Als Caterina ihn ansah, war ihr Blick
umwölkt, und Luciano spürte ihr Widerstreben, Savage indessen
nicht.
»Ich bin müde«, sagte sie. »Es hat alles seine Grenzen.«
»Sagen Sie mir bloß, ob ich Glück in der Liebe habe«, bat er.
»Das genügt mir.«
Sie zögerte, dann nahm sie das
Päckchen, zählte, drehte die siebente Karte um und warf nur
einen raschen Blick darauf. Dann legte sie die Karte wieder auf das
Päckchen.
»Viel Freude wegen einer Heirat oder Geburt. Die drei Be cher mit der Öffnung nach oben.«
»Lassen Sie mich sehen.«
Er griff nach der Karte und drehte
sie um. Zwei reichverzier te Vögel saßen auf dem Rand eines
goldenen Bechers, jeder hielt einen kleinen Becher in den Krallen.
Er lachte aufgeregt. »Nun, wer
weiß? Darf ich die Karte be halten? Ich kenne jemand, dem ich sie
gern zeigen möchte.« Er steckte die Karte in die Brusttasche
und sagte zu Luciano: »Was in den Karten steht, das trifft ein,
nicht wahr?«
Immer noch strahlend ging er
zurück ins Haus. Caterina griff nach dem Kartenpäckchen, aber
Luciano packte ihr Handge lenk und drehte so lange, bis sie die Hand
öffnete und die zer knitterte Karte zum Vorschein kam, die sie
darin verborgen gehalten hatte. Sie fiel zwischen den beiden auf den
Tisch.
Der Tod starrte aus dem Bild,
primitiv gemalt, ein Skelett, das die Sense schwang, aber nicht
über reifen Halmen, sondern über einem Feld von
Menschenleibern.
Im Wohnzimmer stand Carter am Kamin, Luca gegenüber.
»Gibt es keine Möglichkeit, daß ich Sie umstimmen könnte, Don Antonio?«
»Ihre Freunde dort in Kairo
oder wo immer müssen sehr dumm sein. Glaubten sie wirklich, der
bloße Anblick meiner Enkelin, die hier
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