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Lucifer - Traeger des Lichts

Titel: Lucifer - Traeger des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Webb
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hören.

Diesmal nahm er den Aufzug. In der Kabine rutschte er zu Boden, presste seine fest geschlossenen Augen gegen die Knie und hielt sich mit den Händen die Ohren zu, als der Lärm der
    Welt auf ihn einstürmte. Dies war die andere Seite der Macht, die das Licht ihm gab.
    Im Erdgeschoss wartete ein Paar auf den Aufzug. Er hörte ihre Gedanken, als die Tür sich öffnete und sie ihn auf dem Boden kauern sahen.
    >Ein Verrückter, ein Mörder. Man sollte ihn einsperren, schnell, ruf um Hilfe!«
    Irgendwie schaffte er es, aus dem Aufzug und auf die Straße zu stolpern. Dort traf ihn der Wirrwarr noch schlimmer und vielfach verstärkt, tausend betäubende Stimmen, die alle das eine, vorherrschende Wort flüsterten: >Ich, ich, ich, ich.«
    Er rannte, ohne Ziel, nur um zu rennen, um Distanz zwischen sich und die Mauer menschlicher Stimmen zu legen, die ihn zu erschlagen drohte. Menschen wichen erschrocken vor ihm zur Seite. Ob es das blanke Schwert in seiner Faust sein mochte, was sie erschreckte, oder die Weiße seiner Augen. Oder die Furcht in seinem Gesicht. Er fürchtete sich vor den Sterblichen, mehr als sie sich vor ihm. Sie hatten Angst vor den Lügen, die im Umlauf waren, er vor den Wahrheiten, die sich ihm nun offenbarten. Er wollte sich zu der Frau auf der Straße umdrehen und sie warnen: »Er betrügt Sie, denkt an eine andere.« Er wollte den alten Mann ins Gesicht schlagen, der ihn sah und dachte: >Noch so ein verdammter Jude.« Er wollte das verstörte Kind trösten, das seinen Albtraum auf der Straße auf sich zukommen sah. Er wollte die gehässige Frau ohrfeigen, die in ihm einen weiteren Versager sah, der sein Schicksal selbst zu verschulden hatte. Aber er tat es nicht Sam rannte weiter in die dunkler werdenden Schatten.
    Er nahm den Bus zu einem Tor in New Jersey. Die ganze Zeit hielt er die Augen geschlossen und summte soll vor sich hin, jede Melodie, die ihm gerade in den Sinn kam, während die brüllenden, tobenden Stimmen langsam leiser wurden. Schmerzhaft langsam. Er konnte immer noch die Gedanken der Menschen, die ihn im Bus über ihre Zeitungen und Aktentaschen hinweg anstarrten, wie aus weiter Ferne wispern hören, ihre kleinen ahnungslosen Gedanken, die ein Monster aus ihm machten. Manchmal fing er auch ihre unterschwelligen Wünsche und Ängste auf - ein Mann, den es nach seiner Sekretärin gelüstete; eine Frau, die vor Wut schäumte über die Inkompetenz einer unglücklichen Hilfskraft und sich darauf freute, diese feuern zu können; ein alter Mann, der an die nervigen Kinder nebenan dachte; zwei Jungen, die daran dachten, wie sie ihre Freunde demnächst mit schmutzigen Anekdoten und Berichten von erlogenen Taten beeindrucken würden.
    Doch allmählich verblasste dies alles mit der Weiße in seinen Augen, und er saß da mit seinem Beutel auf den Knien und fühlte nichts Schlimmeres als die gewöhnliche Abscheu vor den Gedanken, die kurz seine eigenen gewesen waren.
    Sam blieb bis zum Ende der Route im Bus sitzen, wobei er mindestens zwei Tore links liegen ließ. Er fühlte sich einem Marsch über den Weltenpfad noch nicht gewachsen. Als der Bus die Endhaltestelle erreichte und er als einziger Fahrgast übrig geblieben war, musste der Fahrer kommen und ihn am Arm schütteln. »He, Schlafmütze«, sagte er. »Endstation.«
    Sam öffnete die Augen und gähnte. Seine Augen waren immer noch hellgrau, und er konnte in einer Sekunde die Farbe der Seele des Mannes sehen. Zu seiner Erleichterung war die äußere Dunkelheit nur eine Illusion, eine Vorspiegelung von Aggressivität, um ein warmes Herz zu verbergen. Sam musste unwillkürlich lächeln.
    »Was ist so komisch?«, wollte der Fahrer wissen.
    »Ich lächle nur.«
    »Dann lassen Sie mich doch an Ihrem Scherz teilhaben, ja?«
    Er hob die Stimme, aber Sam konnte sehen, dass seine Schroffheit aufgesetzt war.
    »Sie versuchen, die Tatsache zu verbergen, dass Sie ein guter Mensch sind, weil Sie Angst haben, wieder verletzt zu werden.«
    Der Fahrer zuckte zurück, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen, und Sam konnte seine Gedanken deutlich hören. >Er weiß von Jenny, wie kann er von Jenny wissen und diesem Scheißkerl Carl?<
    Sam drückte sich an ihm vorbei und stolperte zur Vordertür des Busses und hinaus auf die Straße. Es war vermutlich Dummheit gewesen, den Mann anzusprechen. Doch nach einer Reise, bei der er die ganze Zeit den Stimmen anderer gelauscht hatte, tat es gut, die eigene wieder zu hören.
    Hier draußen war es gnädig still

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