Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lucifer - Traeger des Lichts

Titel: Lucifer - Traeger des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Webb
Vom Netzwerk:
wonach man suchte. Wenn das Signal wie eine Kompassnadel nach rechts oder links schwang, ging man einfach direkt darauf zu und benutzte die nach Nord-Süd und Ost-West ausgerichteten Straßen als Leitlinien. Also marschierte er los, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob ihm Leute in die Quere kamen, oder auf die Straßen zu achten, außer wenn er eine überqueren musste.
    Als er der Central Park West südwärts folgte, spürte er, wie das Signal wieder ausschlug. Er überquerte die Straße am Natural History Museum und ging vorbei an dem riesigen Gebäude mit seinen in der Brise wehenden Bannern von Dinosauriern und Sternen zur Columbus Avenue. Rund um die Uhr geöffnete Geschäfte machten sich den Platz mit schmierigen Cafés streitig, und lange einstöckige Busse röhrten nordwärts Richtung Harlem, während Limousinen nach Süden und Westen Richtung Broadway strömten. Zwei müde hispanische Nannys karrten ihre blonden Schützlinge zurück zu ihren Spielzimmern. Ein Liebespaar flirtete auf einer Bank in einem kleinen eingezäunten Bereich, wo man Hunde ungestraft von der Leine lassen konnte. Sam spürte, wie die näher rückende Präsenz von Uriel plötzlich nach Osten schwang. Nahm sie die U-Bahn? Eine so rasche Bewegung machte das wahrscheinlich. Er trabte geduldig weiter, Richtung Südost, während der Himmel sich blaugrau verfärbte und die ersten Straßenlaternen angingen. Er überquerte die Sixth Avenue, wo junge Menschen in trendiger Kleidung beim Shoppen die Zeit vergaßen und andere, die sich die ausgestellten Luxusgüter nicht leisten konnten, sich die Nasen an den Schaufenstern platt drückten. Hier gab es mehr Verkehr, und obwohl die Straße vor Leben wimmelte und Apartments sich zu Wolkenkratzern türmten bis hinauf zum Empire State Building, das alles überragte, gab es wenige oder gar keine Grünflächen. Sam ertappte sich bei dem Gedanken, was der Anti-Technokrat Wisperwind wohl zu einer solchen Szene sagen würde, die so einen dramatischen, glamourösen Unterschied zu Russland bot, wo... Hölle, ja, wo er erst vor drei Stunden gewesen war.
    Uriel war wieder zum Stillstand gekommen. Jetzt, da Sam näher kam, schien die Präsenz des Erzengels zu ihm zu rufen, ihn anzulocken. Er überquerte die Fifth Avenue, ohne dabei auf den starken Verkehr oder die Wahrzeichen zu achten, die ihm von jeder Straßenecke förmlich entgegensprangen. Weiter ging es nach Osten, wo der Glamour anscheinend ausgegangen war und nur noch riesige Bürohochhäuser und langweilige Arkaden mit überteuerten Juwelierläden und Modeboutiquen übrig gelassen hatte. Er traf wieder auf Glamour, verlor ihn, kam an einem Restaurant mit weiß-rot karierten Tischdecken vorbei, wo der Direktor einer Firma seinem verhassten Rivalen bei einem Glas trockenen italienischen Weins um den Bart strich. Das Schild an der Tür verhieß authentische italienische Küche. Alles in New York war authentisch, selbst jene Dinge, die offensichtlich unecht waren.
    Es bedurfte der Augen eines Fremden, um das Netz von Illusionen zu durchdringen, das die Stadt um sich gesponnen hatte. Wie ausländischen Journalisten das Rattenproblem und
    Elfen der Mangel an Grün in diesen dichten Straßen ins Auge fiel, so sahen Sams schwarze Augen die länger werdenden Schatten, die Mülltonnen, die nicht geleert worden waren, und die Falschheit des Lächelns überall. Es erinnerte ihn an die Zeile, die ihm am Anfang dieser ganzen Geschichte in den Sinn gekommen war:
    »Oh, was für Narren diese Menschen sind!«
    Sam hatte einst Shakespeare in Amerika auf der Bühne gespielt gesehen, aber es bei dieser einmaligen Erfahrung belassen. Er hatte den Dichter selbst in seinen Werken auftreten sehen, und zu hören, wie Hamlet mit amerikanischem Akzent über sein Unglück seufzte, hatte jenen Teil von ihm beleidigt, der sich immer noch an die Erleichterung erinnerte, im sechzehnten Jahrhundert zu leben. Soweit es ihn betraf, war diese Zeit die beste von allen gewesen; nachdem die Renaissance begonnen hatte, hatte es eigentlich nur besser werden können. Für seinen Geschmack hatte das Mittelalter viel zu lange gedauert.
    »Was für dumme, primitive Narren«, wiederholte er im Flüsterton.
    Er wandte sich wieder nach Süden. Das Straßenmuster wurde nun komplizierter, mit gelegentlichen Diagonalen und selbst dem einen oder anderen Baum, der zwischen dem Pflaster wuchs, vom öffentlichen Raum durch einen Zaun getrennt. Dann der Washington Square, wo in den niemals endenden Lichtern

Weitere Kostenlose Bücher