Lucifer - Traeger des Lichts
Autos und Bäume ringsum ihre Schatten warfen. Hinein in die kleineren, ruhigeren Wohnstraßen mit ihren luftigen Penthäusern und kleinen Kiosken, die Zeitungen in einem halben Dutzend verschiedener Sprachen verkauften, vorwiegend Englisch und Spanisch. Ein Mann und eine Frau, die sich ihres perfekten Lebens in dieser perfekten Welt erfreuten, führten einen großen grauen Hund spazieren, welcher beim Anblick jedes Fremden stehen blieb und das Herz eines jeden gewann, indem er die kältesten Hände leckte. Uriel war nahe. Sam konnte sie spüren, konnte sie beinahe sehen wie einen Lichtschein im äußersten Augenwinkel. So nahe, dass er seine eigene Ausstrahlung abschirmte, wie Uriel es zu seinem Glück nicht für nötig befunden hatte.
Er bog in eine weitere Straße ein und blieb stehen. Mit zurückgelegtem Kopf spähte er zu einem verglasten Penthaus auf einem weißen, dreieckigen Gebäude hinauf. Licht brannte im Inneren, und ein Schatten zeigte sich am Fenster. Uriel. Sie war allein. Sam war meilenweit gelaufen, aber er fühlte sich nicht im Geringsten müde. Jetzt würde er Antworten erhalten.
Er ging über die Straße und trat in den Hauseingang. Es gab eine Gegensprechanlage, aber er war nicht so dumm, zu klingeln und seine Stimme zu verstellen. Er suchte nach Schutzzaubern, aber fand keine. Er legte die Hand gegen die Tür, und während er instinktiv mit Augen und Geist nach Verfolgern Ausschau hielt, löste er den Schließmechanismus auf der anderen Seite und drückte die Tür auf.
Im Inneren gab es einen Aufzug und ein Treppenhaus. Sam nahm die Treppe. An jeder Ecke hielt er Ausschau nach denselben Angreifern, denen er in Kaluga begegnet war, doch er wusste intuitiv, dass niemand da war. In einer dunklen Ecke, fern von Fenstern und Türen, hielt er an und holte sein Schwert heraus. Er wischte sich den Schweiß von der Hand, bevor er es in einen festen Griff nahm. Weiter schlich er nach oben, bis er einen kleinen Absatz mit nur einer Tür erreichte. Ein Dachfenster ließ die Abendröte hereinfallen, und eine kugelförmige Lampe warf Licht auf eine sehr saubere Matte.
Sam klopfte an die Tür und trat neben das Guckloch. Er hielt seine Abschirmung aufrecht und projizierte mit geflissentlicher Leichtigkeit die mentale Illusion eines einfachen Sterblichen. Die Tür ging auf. Uriel, mit nassem roten Haar und angetan mit nichts weiter als einem Bademantel und Slippern, sah ihn an.
»'tschuldigung«, sagte er und rammte den Knauf seines Schwertes hoch und gegen ihr Kinn. Sie taumelte zurück, und er verpasste ihr in raschen Folge zwei weitere Hiebe, die sie zu Boden gehen ließen.
Das Apartment bestand aus nur drei großen Räumen - Schlafzimmer, Badezimmer und einem geräumigen Wohnzimmer mit Küche. Große Schiebetüren führten auf eine Dachterrasse, auf der Pflanzen wuchsen, unnatürlich grün für diese Jahreszeit. Sam brauchte nur ein paar Augenblicke, um in den Schrankschubladen zu finden, was er suchte: eine Rolle Klebeband. Mit einer weiteren Entschuldigung an die betäubte und hilflose Uriel fesselte er sie an einen Heizkörper und verband ihr die Augen. Selbst mit der geringeren Macht eines Erzengels war nicht zu spaßen. Inzwischen erlangte Uriel langsam das Bewusstsein wieder. Sie drehte den Kopf hin und her und stöhnte.
Sam schlug sie nicht und schrie sie nicht an. Er wusste, er konnte die Gedanken eines Erzengels nicht so einfach lesen wie bei Mascha. Nicht ohne Hilfe. Er drehte ihr den Rücken zu und bedeckte sein Gesicht mit den Händen, die Augen fest geschlossen.
Seine Finger fingen an zu zittern, dann begann er am ganzen Körper zu beben. Tränen sprangen ihm in die Augen, und sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, als weißes Licht ihn umhüllte, sich ausdehnte, auf Uriel zuschoss und eine Handbreit vor ihrer zitternden Gestalt innehielt. Dann fiel es in sich zusammen, und Sam taumelte gegen den Küchentisch, mit tränenüberströmtem Gesicht, die Hände gegen die Ohren gepresst.
»Lucifer!«, flehte Uriel. »Was machst du?« Sie hatte die nur mühsam beherrschte Entladung gespürt und wusste, worum es sich handelte.
Weißäugig wandte Sam sich ihr zu. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Ich kann deine Gedanken hören«, sagte er leise. Seine Stimme vibrierte von innerer Anspannung. »Und du wirst mir nun verraten, wo Andrew ist. Wo ich Gail finden kann. Was hier wirklich vor sich geht.«
>Nein.< Er konnte ihre Gedanken hören, ihre Ängste spüren, ihre vielen Ängste,
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