Lucifer - Traeger des Lichts
Dinge deponieren.
Er zwang sich in das Tor hinein. Sogleich war er von einem blassen Nebel umgeben und spürte die plötzliche Kälte. Schatten regten sich und lauerten ringsum. Er biss die Zähne zusammen und ging weiter, setzte mit qualvoller Langsamkeit einen Fuß vor den anderen. Das Atmen fiel ihm schwer; er musste ganz flache Züge machen, und jeder davon schwächte ihn mehr. Es gab nur so viel Luft auf den Pfaden, wie man durch das offene Tor mit sich brachte. Wer zu lange auf dem Pfad blieb, erstickte.
Sam zwang sich, in Bewegung zu bleiben, rief sich mit Gewalt das Bild von Gehenna vor Augen. Das Bild zu verlieren hieß den Weg zu verlieren. Hartnäckig ignorierte er die lauernden Schatten voraus, doch er wusste, dass er die Augen offen halten musste, um das Tor nicht zu verfehlen. Geisterhafte Finger zerrten an seinem Gesicht, seinem Haar. Kaum vernehmliche Stimmen flüsterten, warben um seine Aufmerksamkeit, baten ihn, anzuhalten und ihnen zu helfen. Dies waren die Schatten derer, die auf dem Pfad in die Irre gegangen waren. Jene Sterblichen, die durch Zufall in ein Tor geraten waren und die nicht das Blut und die Widerstandskraft hatten, derer es bedurfte. Und jene Kinder von Vater Zeit, die ihren Weg verloren hatten.
Da war ein Licht, das durch den Nebel leuchtete. Dankbar, dass sich seine Reise dem Ende näherte, taumelte er darauf zu, stolperte vor Hast beinahe über seine eigenen Füße. Das weiße Licht wurde schärfer, bildete einen Durchgang, eine deutliche Form. Er fiel hindurch, keuchend und nach Luft schnappend, während sich in seinen Beinen ein dumpfer Schmerz von den Anstrengungen des Pfades ausbreitete.
Er war in einem Raum ausgekommen, den man am ehesten als Verlies bezeichnen mochte. Gehenna war um ein Tor herum errichtet worden, und die dämonischen Baumeister hatten nicht ganz zu Unrecht argumentiert, wenn jemand durch ein Tor dorthin zu kommen versuchte, sollte er am besten an einer Stelle auftauchen, wo er keinen Schaden anrichten konnte.
So war der Raum, in dem Sam angekommen war, kalt, dunkel und ein wenig feucht, mit glatten Steinwänden und einer schweren hölzernen Tür. Er überlegte, ob er gegen die Tür hämmern sollte, doch entschied, dass es keinen Sinn machte. Schließlich wollte er nicht bleiben. Stattdessen setzte er seinen Rucksack ab, zog eine Wollmütze heraus, wickelte seinen Schal um Mund und Nase und holte mehrmals tief Luft. Auch wenn er für die tibetischen Berge wohl gerüstet war, sah er doch mit Unbehagen auf den Schatten, wo das Tor wartete. Die rationale Überlegung gebot, dass er wieder zu Atem kam, bevor er den Weg zurück wagte; zugleich forderte die irrationale Furcht, dass er zuerst das Für und Wider seiner Handlungen erwog.
Also stand er eine lange Zeit einfach da und überlegte, sammelte seine ganze Kraft, um sich erneut jenen Schatten zu stellen. Dann nahm er all seinen Mut zusammen und trat hinein; denn er wusste genau, wenn er es jetzt nicht tat, während dieses plötzlichen Aufwallens von Tapferkeit, würde er vielleicht nie mehr den Nerv dazu aufbringen.
Nebel. Schatten. Druck. Nicht genug Luft, brennende Lungen, winselnde, lauernde Schemen. Schatten, die ihn anflehten, sie zu erlösen, die versuchten, ihn von dem geraden Weg abzubringen. Das Ziel verschwamm. Das Bild, das er vorgegeben hatte, war nicht in unmittelbarer Nähe eines Tores, und der Pfad suchte nach dem nächsten Zugangspunkt. Dies machte das Gehen noch schwerer. Sam war mit kaltem Schweiß bedeckt, und seine Hände zitterten, als die Luft noch knapper wurde. Ein Licht voraus, aber oh, wie schwer war es zu atmen, wie leicht würde es sein, das Bild loszulassen, seine Augen zu schließen und...
Die Erkenntnis, dass er dabei war, den Kampf zwischen Weltenwandeln und Überleben zu verlieren, rüttelte ihn zu neuen Anstrengungen auf, und er schritt schneller aus; den Blick auf das Licht geheftet, ließ er sich davon anziehen wie von einem Magneten, zerteilte die Schatten, ungeachtet des Brennens in seinen Lungen und der Einflüsterungen ringsum.
Er stürzte aus dem Tor, mitten hinein in den scharfen Wind, der um die Berge heulte. Der Schneesturm peitschte so heftig, dass er kaum etwas sehen konnte. Er war in eine Wechte gefallen und blieb dort fast zwanzig Minuten lang liegen, um wieder zu Atem zu kommen, während sich um ihn herum bereits eine kleine Schneebank bildete.
Er hatte fast schon vergessen, wie es im Winter im Hochgebirge war - wie bitterkalt und gefährlich der
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