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Lucifer - Traeger des Lichts

Titel: Lucifer - Traeger des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Webb
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Gelehrten, der mit seinem Kind Spiele treiben und später, wenn dieses Kind älter war, dessen Kümmernissen mit einem weisen Lächeln auf dem Gesicht und Lachfaltchen um die Augen zuhören würde. Und er wusste, wenn er den Kopf jetzt drehte, dann würde er genau jenen Vater sehen, den er sich erträumt hatte, eine Gestalt seiner eigenen Fantasie, geschaffen zu dem einzigen Zweck, ihn besser manipulieren zu können.
    »Sag mir, was du von mir willst. Sag mir, was du planst. Sag mir, warum du mich so nahe bei dir haben wolltest und zugleich so fern.«
    »Du bist notwendig«, war die einfache Antwort. Sam schloss die Augen, als sein Vater in sein Gesichtsfeld trat, weigerte sich, auf sein Traumbild zu blicken; denn er wusste, welche Macht es über ihn haben würde, wenn er ihm in die Augen sah. Er spürte, wie warme alte Hände über seine Wangen strichen, dann seinen Kopf nach oben hoben, damit sein Vater - nein, nicht sein Vater, eine Illusion, von seinem Vater geschaffen, von jemandem, der nie sein wirklicher Vater gewesen war - die Züge seines Sohnes betrachten konnte. Er spürte, wie die warmen alten Hände sich um die seinen legten und sanft die Krone seinem Griff entwanden. Er öffnete die Augen und blickte auf in seines Vaters Gesicht, als dieser die Krone über Sams Haupt erhob.
    »Warum?«, fragte er. Es war wie ein Hauch.
    »Meiner Furcht wegen«, flüsterte sein Vater und senkte die Krone auf Sams Haupt herab.
    Allein in der nun leeren Halle, mit der silbernen Krone auf seinem schwarzen Haar, während die Uhren nun wieder in vollkommenem Gleichklang tickten, kniete Sam und schrie. Die silberne Krone wurde weiß; flammende Helle durchströmte ihn und umgab ihn mit einer Aura von weißem Feuer. Seine Augen wurden weiß, seine Finger krümmten sich zu Klauen, als er mit der Kraft der Verzweiflung versuchte, sich die Krone vom Haupt zu reißen.
    Mit einem Knall wie von einem Gewehrschuss flog sein Kopf nach hinten, als das Feuer aus der Krone schoss, in ihn hinein und aus ihm heraus in die Welt. Es erfüllte den Raum, den Palast, es blendete jeden, der daraufblickte, erfüllte den Himmel selbst, drang in die Tore und erfüllte die Weltenpfade mit
    Licht, das den Nebel hinwegbrannte. Durch die Tore breitete sich es aus zur Erde, fauchte über die unberührte Landschaft, fand weitere Portale, füllte jeden Winkel und jede Spalte jeder Welt, bis es so dünn war wie Schatten, dann dünner, dann verblassend, dann verschwunden ...
    Im Raum der Uhren, allein, mit weißen Augen hinter verschlossenen Lidern, brach der Träger des Lichts in sich zusammen und lag da wie tot.

13
    Nebelschleier
     
    Die Sonne war schon untergegangen, als der Zug in den Bahnhof von Kaluga einfuhr. Es war zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit. Unter dem Deckmantel der Illusion kaufte Sam sich einen übel schmeckenden Instantkaffee und hockte sich mit dem Plastikbecher in der Hand auf einen Fahrradständer draußen vor dem Eingang zum Bahnhof. Er war zu müde, um den Menschen, die den Parkplatz querten, den flackernden Neonlichtern oder den knisternden Lautsprecheransagen im Bahnhof Beachtung zu schenken. Es war ein Wunder, dass seine Illusion ihn nicht hier und jetzt verließ, während seine Gedanken auf Pfaden wandelten, die zu komplex waren, als dass der Körper ihnen hätte folgen können. Er hatte seinen Kaffee ausgetrunken, doch unbewusst hob er den Becher wieder zum Mund. Irgendwo schlug eine Uhr sieben. Er wartete.
    Am Himmel zogen sich Wolken zusammen, und Schnee begann zu fallen - feuchter Schnee, der sofort schmolz, wenn er auf das Pflaster traf. Sam streckte die Hand aus und sah zu, wie die kleinen Kristalle sich darauf niederließen, vergingen und zu Wasser wurden, so rasch, als sei die Natur auf Schnellvorlauf gestellt.
    Viertel nach. Ein freundlicher Gepäckträger, der ihn als Fremden erkannte, fragte, ob alles in Ordnung sei. Er bejahte es; doch die Frage hatte etwas in ihm in einen Zustand der Alarmbereitschaft versetzt.
    Wo ist Wisperwind?
    Er hatte das Gefühl, dass die Sekunden vorbeikrochen. In seiner Fantasie sah er in jedem Auto, das am Bahnhof vorbeifuhr, drei Personen sitzen, doch keine davon warf ihm einen Blick zu. Zugleich gab er sich selbst die Schuld an diesem neuerlichen Fehlschlag - und zerbrach sich den Kopf, um einen Ausweg zu finden.
    Der feuchte Schnee fiel nun dichter. Seine Kleider waren inzwischen halb durchweicht. Der Schneeregen und seine eigene Müdigkeit ließen die Neonlichter verschwimmen. Sam

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