Lucifer - Traeger des Lichts
Schwertklinge.
»Erzengel haben es so viel einfacher«, erklärte Sam mit lauterer Stimme, während sie über den Pfad und zwischen den Bäumen umhertanzten und die Klingen wirbeln ließen. »Geschaffen zu werden, um zu dienen, gibt dem Leben irgendwie eine Richtung. Als ich noch ein Erzengel war, ging es mir viel besser. Es gab nicht diese Selbstzweifel, nichts von diesen quälenden Gedanken, wohin das alles führen mag. Es ist so einfach, seinen Glauben und seine Treue auf eine ziemlich sichere Bank zu setzen. Aber wir spielen immer um unsere Seelen - jeden Tag, Michael. Und jedes Mal, wenn wir verlieren, wird uns ein bisschen was von unserem Einsatz genommen. Nach ein paar tausend Jahren Glücksspiel können da verdammt hohe Schulden auflaufen.«
Sam hielt das Schwert nun mit nur einer Hand. Zu spät versuchte Michael, Deckung zu finden, während Sams freie Hand nach oben ging, mit ausgestreckter Handfläche. Mit der Handbewegung stieg auch Michael nach oben, bis er hilflos in der Luft hing. Nur sein wilder Blick und sein keuchender Atem zeugten davon, dass er noch lebte.
Doch Sam, der zu ihm hinaufsah, lächelte nicht im Geringsten.
»Sie wollten mich verbrennen«, murmelte er wieder. »Trachte nicht danach, ein Sohn der Zeit zu sein. Trachte nicht danach, alles, was dir lieb und teuer ist, vergehen zu sehen, um einer neuen Hoffnung Platz zu machen, die ebenfalls vergeht. Trachte nicht danach, die Dinge so klar zu sehen, wie Chronos dies seinen Kindern auferlegt. Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe oder was ich sehen muss, bevor ich sterbe ... Nun, genug davon! Du siehst, was du sehen willst, und solange es währt, ist das ein wunderbarer Segen. Wenn wir sähen, was wirklich da ist, wer würde der Zeit mit festem Blick ins Auge schauen können?«
Er löste den Zauber, und der Erzengel fiel mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden. Sams freie Hand durchschnitt die Luft, und die Wirkung war wie eine eiserne Faust gegen Michaels Schläfe. Ohne einen Laut kippte Michael zur Seite, und das Schwert rollte aus seinen schlaffen Händen.
»Sie wollten mich verbrennen«, flüsterte Sam.
Es war das Quieken von Ratten, das ihn weckte, oder womöglich der Laut von krallenbewehrten Tatzen, die über Plastiksäcke huschten. Die Sonne stand hoch am Himmel, aber das einzige Indiz dafür waren die drückende Hitze und der Lichtschein, der durch ein kleines Fenster am anderen Ende des Zimmers drang.
Er lag in einem Kellerraum, ungefesselt, auf einem Haufen von Müllsäcken, die sich unter einer Müllrutsche in einem großen Plastikcontainer türmten. Von einer Kugel im Rücken war nichts zu spüren, doch es gab auch kein Zeichen von seinem Schwert, von Andrew, Peter oder Wisperwind. Er fragte sich, wohin die Kugel verschwunden war, dann, als er sich umdrehte, spürte er, wie sein Magen revoltierte. Zur Hölle...
Er hievte sich über den Rand des Müllcontainers und fiel hart. Er schaffte es, ein paar Meter zu kriechen, bevor er sich krümmte und den Inhalt seines Magens erbrach. Tränen liefen ihm aus den Augen, und er würgte und würgte, bis er nicht mehr konnte. Er spürte eine warme Nässe um die Nase, und als er mit der Hand darüberwischte, blieb eine klare Flüssigkeit mit Schlieren von Blut darauf zurück.
Jetzt wusste er, was mit der Kugel geschehen war. Sein Körper hatte sie absorbiert, sie aufgelöst und in den Blutkreislauf überführt. Er fragte sich, wie lange er in dem Keller gelegen hatte. Um eine Bleikugel zu verarbeiten, brauchte sein Körper vermutlich Tage.
Er schaffte es aufzustehen. Vor seinem verschwommenen Blick schwankte die Welt hin und her. Der Dolch, den er sich ans Bein gebunden hatte, war fort, doch ein Blinken von Silber zwischen dem Müll markierte die Stelle, wo er sich von der Schnur gelöst hatte, um nicht dem Feind in die Hände zu fallen. Sam hob eine Hand, und der Dolch flog in seinen Griff.
Sam, besudelt und stinkend wie er war, taumelte auf die einzige Tür des Raumes zu. Seine Hand fand blind die Klinke, doch die Tür war verschlossen. Er hämmerte gegen das metallene Türblatt. Tränen liefen ihm übers Gesicht, und das Tröpfeln aus seiner Nase war zu richtigem Blut geworden. Blei zu absorbieren war etwas, was er seit langer Zeit nicht mehr getan hatte. Er hämmerte weiter, schrie nutzlose Verwünschungen. Niemand antwortete.
Sam trat zurück und wischte sich mit einem dreckigen Ärmel die Augen ab. Schließlich stieß er ein animalisches Knurren aus, in dem seine
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