Lucky - Nur eine Frage der Zeit
in Panik.
Sie hatte es nicht bei sich – im Nachhinein war sie dafür mehr als dankbar – und saß schweigend, von Angst beherrscht, fast dreißig Minuten einfach nur da. Sie wagte es kaum, zu atmen, lauschte und wartete darauf, dass sich das Geräusch vor der Badezimmertür wiederholte.
Kämpfen oder sich fügen.
Sie dachte in diesen dreißig Minuten kaum an etwas anderes.
Kämpfen oder sich fügen. Sie hatte sich schließlich für Kämpfen entschieden.
Im Bad war nichts, was als Waffe zu gebrauchen war. Außer dem schweren Keramikdeckel des Wasserkastens der Toilette. Sie schwang ihn hoch über ihren Kopf, als sie schließlich das Badezimmer verließ, um sich tatsächlich allein in ihrer Wohnung zu finden. Trotzdem schaltete sie anschließend sämtliche Lampen ein, überprüfte die Fensterriegel doppelt und dreifach, ließ die Lampen an, als sie schließlich ins Bett ging und schlief. Schlecht schlief.
“Nein”, sagte sie jetzt. “Ich bin nicht so leicht zu erschrecken.”
Er lächelte, als wüsste er, dass sie log. “Deshalb haben Sie letzte Nacht wohl auch bei eingeschaltetem Licht geschlafen?”, fragte er.
“Ich?” Sie gab sich Mühe, beleidigt zu klingen. “Ich doch nicht.”
“Seltsam”, meinte er. “Als ich so gegen eins bei Ihnen vorbeigefahren bin, sah es ganz so aus, als hätten Sie Flutlicht eingeschaltet.”
Sie war verblüfft. “Sie sind bei mir vorbeigefahren …?”
Er begriff, dass er sich verraten hatte. “Ja, nun … Ich war gerade in der Gegend.”
“Seit wie vielen Nächten fahren Sie kreuz und quer durch die Straßen von San Felipe, statt zu schlafen?”, fragte sie.
Er schaute weg, und ihr wurde klar, dass sie mit ihrer Frage einen Volltreffer gelandet hatte. “Kein Wunder, dass Sie letzte Nacht fast umgekippt sind”, stellte sie fest. Kein Wunder, dass er ausgesehen hatte, als wäre er nicht aus dem Bett geholt worden.
“Ich wäre nicht fast umgekippt”, widersprach er.
“Oh doch, Sie wären fast umgekippt.”
“Quatsch. Mir war nur ein wenig schummrig.”
Sie funkelte ihn zornig an. “Wie in aller Welt wollen Sie eigentlich diesen Kerl schnappen, wenn Sie nicht besser auf sich aufpassen? Wenn Sie nachts nicht schlafen?”
“Wie in aller Welt soll ich nachts schlafen”, gab er mit zusammengepressten Zähnen zurück, “solange ich diesen Kerl nicht geschnappt habe?”
Er meinte es ernst. Absolut ernst. “Mein Gott”, sagte Syd langsam. “So sind Sie also wirklich.”
“Wie bitte?”, fragte er. Ganz offensichtlich verstand er nicht. Oder gab zumindest vor, nicht zu verstehen.
“Das unsensible Machogehabe ist also nur Theater”, warf sie ihm vor. Dessen war sie sich jetzt sicher. “Mr. Bin-ich-nicht-wundervoll in seiner strahlend weißen Uniform – ein bisschen dumm, aber viel zu verlockend, als dass das eine Rolle spielen würde. Die meisten Menschen können nicht hinter diese Fassade schauen, richtig?”
“Nun ja”, gab er bescheiden zurück, “ich habe nicht so viel zu bieten …”
In Wahrheit war er ein Superheld. “Sie sind ein toller Kerl. Eine wirklich erstaunliche Mischung aus Alphatier und sensiblem Betamännchen. Warum glauben Sie eigentlich, das verbergen zu müssen?”
“Ich bin mir nicht sicher”, entgegnete er, “aber ich glaube, Sie beleidigen mich gerade.”
“Lassen Sie den Quatsch!”, fauchte sie ihn an. “Ich weiß nämlich auch, welchen IQ Sie haben, Sie kluger Junge.”
“Kluger Junge”, sinnierte er. “Klingt viel besser als Ken, nicht wahr?”
Syd kämpfte darum, nicht rot zu werden. Wie oft war ihr der Name Ken rausgerutscht, wenn sie ihn ansprach? Offenbar viel zu oft. “Was soll ich dazu sagen? Sie haben mich mit Ihrer Hartplastikschale getäuscht.”
“Wo wir schon dabei sind, mit Fingern auf des Pudels Kern zu zeigen, mache ich das gleich auch mal mit Ihnen.” Er streckte ihr seinen Arm entgegen, sodass sein Zeigefinger fast ihr Gesicht berührte, und stieß ein grässliches Quaken aus.
Syd hob eine Augenbraue und schaute ihn schweigend an.
“Sehen Sie”, meinte er triumphierend. “Das meinte ich. Diesen Blick. Diese verächtliche Bestürzung. Dahinter verstecken Sie sich die ganze Zeit.”
“Aha”, gab sie zurück. “Und was versuche ich Ihrer Meinung nach vor Ihnen zu verbergen?”
“Ich glaube, Sie verbergen …” Er machte eine dramatische Pause. “Den Umstand, dass Sie weinen, wenn Sie einen Film sehen.”
Sie warf ihm ihren schönsten
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