Lucky - Nur eine Frage der Zeit
Sie-müssen-verrückt-geworden-sein-Blick zu. “Tue ich nicht.”
“Oder vielleicht sollte ich sagen: Sie verbergen, dass Sie überhaupt weinen. Sie tun so, als wären sie stahlhart. So … durch nichts zu bewegen. Sie gehen bei Ihrer Suche nach einer Verbindung zwischen den Vergewaltigungsopfern methodisch vor, kalt, als wäre das Ganze ein Riesenpuzzle, das zusammengesetzt werden muss. Ein weiterer Schritt auf Ihrer Karriereleiter, wenn Sie Ihre Exklusivgeschichte über die Festnahme des Vergewaltigers von San Felipe schreiben. Als ob diese armen, traumatisierten Frauen Sie nicht berühren würde! Als ob sie nicht den Wunsch in Ihnen wecken würden, zu weinen.”
Sie wich seinem Blick aus. “Selbst wenn ich gelegentlich weinen würde, habe ich jetzt keine Zeit dafür”, antwortete sie so kurz angebunden wie möglich. Sie wollte nicht, dass er erfuhr, wie viele Tränen sie tatsächlich für Gina und all die anderen Opfer vergossen hatte – heimlich, sicher und unbeobachtet unter der Dusche.
“Ich glaube, dass Sie in Wirklichkeit sehr weichherzig sind”, fuhr er fort. “Ich glaube, dass Sie jeder Wohltätigkeitsorganisation spenden, die Ihnen einen Bettelbrief schickt. Aber ich glaube auch, dass Ihnen irgendwann mal jemand gesagt hat, dass man Sie einfach unterbuttern wird, wenn Sie zu nett sind. Also bemühen Sie sich, eiskalt und stahlhart zu sein, obwohl Sie in Wirklichkeit ein Weichei sind.”
Syd ließ ihre Augen rollen. “Wenn Sie es nötig haben, so über mich zu denken, nur zu …”
“Und was machen Sie heute Nachmittag?”
Syd öffnete die Beifahrertür, um das Gespräch endlich zu beenden. Wie war es nur möglich, dass ihr so die Kontrolle entglitten war? “Nichts. Arbeiten. Lernen. Alles, was es über Serienvergewaltiger zu wissen gibt, in Erfahrung bringen. Versuchen herauszufinden, welche Verbindung zwischen den Opfern mir bisher entgangen ist.”
“Frisco hat mir erzählt, Sie hätten ihn um Erlaubnis gebeten, Gina Sokoloski auf den Stützpunkt zu holen.”
Erwischt! Syd zuckte die Achseln, versuchte die Sache herunterzuspielen. “Ich muss mit ihr reden, ich brauche weitere Informationen von ihr. Muss herausfinden, ob sie irgendeine Verbindung zur Navy hat. Ob es jemanden gibt, den wir übersehen haben.”
“Das hätten Sie auch am Telefon erledigen können.”
Syd kletterte aus dem Pick-up und knallte die Tür hinter sich zu. Luke folgte ihr. “Ja, nun, ich hielt es für eine gute Idee, Gina für eine Weile aus dem Haus ihrer Mutter herauszuholen. Sie ist seit fast zwei Wochen dort und hat noch nicht ein einziges Mal die Vorhänge ihres Schlafzimmers geöffnet. Ich kann sie möglicherweise nicht einmal überreden, mit mir zu kommen.”
“Sehen Sie?”, sagte er. “Sie sind nett. Sie sind sogar mehr als einfach nur nett, Sie sind so nett, wie Zuckerguss süß ist. Sie sollten einen Preis dafür bekommen. So …”
Sie drehte sich zu ihm um, bereit, ihn notfalls zu knebeln. “Okay. Genug jetzt! Ich bin also nett. Vielen Dank!”
“Süß”, gab er zurück. “Sie sind süß.”
“Grrrrr.”
Aber er lachte nur, gänzlich unbeeindruckt.
Lucky stand am Strand, ein paar Meter hinter der Decke, die Syd auf dem Sand ausgebreitet hatte. Sie hatte breitkrempige Hüte mitgebracht – einen für Gina und einen für sich. Zweifellos sollte er dazu dienen, das zerschundene Gesicht der jüngeren Frau vor der heißen Nachmittagssonne zu schützen. Sie hatte auch Sonnenbrillen mitgebracht. Mit großen Gläsern, die die Blutergüsse um Ginas Augen ein wenig verdeckten. Wie sie da zusammen hockten, wirkten sie wie zwei Filmstars, die durch einen Zeitsprung direkt aus den Fünfzigern hierher geraten waren.
Syd hatte eine Kühltasche mit mehreren Dosen Limonade mitgebracht. Eine davon hielt sie in der Hand und trank mit einem Strohhalm daraus. Zweifellos hatte sie die Strohhalme dabei, weil Ginas aufgeplatzte Lippen noch nicht richtig verheilt waren.
Gina umklammerte ihre Limodose und saß zusammengekauert da, die Knie an die Brust gezogen, die Arme darum geschlungen, den Kopf tief gesenkt. Sie kam damit der Embryonalstellung so nah wie nur irgend möglich. Personifizierte Anspannung und Furcht.
Aber Syd ließ sich davon nicht abschrecken. Sie lag auf dem Bauch, die Ellenbogen aufgestützt, das Kinn in die Hände gelegt und plapperte fröhlich und nahezu ununterbrochen drauflos.
Unten am Strand mühten die SEAL-Anwärter sich mit Telefonmasten ab – Unterricht in Teamwork.
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