Lucy kriegt's gebacken
werde, hassen wird. „Marie, ich glaube, dass Ethan bei dir und Gianni manchmal das Gefühl hat, den Kürzeren zu ziehen. Verglichen mit Jimmy, meine ich.“
Sie weicht entrüstet zurück. „Ich liebe keinen meiner Söhne mehr als den anderen, Lucy“, sagt sie nachdrücklich.
„Ich weiß. Bloß, ihr findet nicht gut, wo er arbeitet, und …“
„Wieso denn nicht? Er verdient gutes Geld! Er ist leitender Angestellter! Wir sind sehr stolz auf ihn!“ Sie blickt zur Seite, ein stummes Eingeständnis, dass ihre Behauptung nicht hundert Prozent der Wahrheit entspricht.
„Dann sorge dafür, dass er das auch weiß. Das ist alles“, fahre ich sanft fort. Marie zuckt mit den Schultern, dann nickt sie. „Ich muss los. Richte Ethan von mir aus, wie froh ich bin, dass es ihm besser geht.“ Ich küsse Marie auf die Wange, dann halte ich kurz inne. „Marie, erinnerst du dich an Doral-Anne, die früher in eurem Restaurant gearbeitet hat? Sie hat in Ethans Baseballteam gespielt?“
Das Gesicht meiner Schwiegermutter erstarrt. „Die. Klar erinnere ich mich. Das war die, die uns Geld geklaut hat. Die mit den Tätowierungen. Ich hab ihr damals gesagt, dass sie die bedecken muss. ‚Wir sind ein Familienrestaurant‘, sage ich zu ihr, ‚niemand will sehen, was du auf einer deiner Sauftouren gemacht hast.‘ Das hat ihr gar nicht gefallen, aber …“
„Wusstest du, dass sie und Jimmy eine Zeit lang ein Paar waren?“, unterbreche ich sie.
Wieder blickt sie zur Seite. „Ja. Das wusste ich. Eines kann ich dir verraten, Lucy, wir waren heilfroh, als du auf der Bildfläche erschienen bist. Gut, du warst keine Italienerin, aber zumindest katholisch und ein nettes Mädchen, weißt du, was ich meine? Kein Abschaum. Dieses Mädchen war Abschaum.“
Ich betrachte meine Schwiegermutter einen Moment. „Gestern Abend, als Ethan angefahren wurde, hat Doral-Anne sich um Nicky gekümmert. Wusstest du das?“
Ihr Mund verzieht sich zu dieser stummen Na-und?-Frage, die die Mirabellis so gut draufhaben - der abwehrende Gesichtsausdruck, das vorgeschobene Kinn, die erhobene Augenbraue. „Inwiefern um Nicky gekümmert?“
„Parker ist auf die Straße gerannt, um Ethan zu helfen, und Nicky hat geweint und Angst gehabt. Sie hat ihn auf den Arm genommen.“ Ihm Mut zugesprochen höchstwahrscheinlich. Sich mit ihm abgewandt, damit der kleine Kerl nicht sehen musste, wie sein Vater bewusstlos auf der Straße lag.
Marie ist nach wie vor nicht sonderlich beeindruckt.
„Ich muss los“, sage ich erneut. Wir gehen zusammen den Flur hinunter, Fat Mikey schreit, empört darüber, auf diese Weise herumgetragen zu werden.
„Komm doch die nächsten Tage mal zum Essen ins Restaurant, Liebling“, sagt sie, als ich auf den Fahrstuhlknopf drücke. „Du weißt, wie gern Gianni für dich kocht.“
„Das werde ich“, entgegne ich lächelnd. Kaum haben sich die Türen hinter mir geschlossen, erlischt mein Lächeln.
Noch ein paar Tage lang bleibe ich diese merkwürdige, benommene Version meiner selbst. Ich gehe wieder zur Arbeit in die Bäckerei, lange bevor sonst jemand hier ist, forme die Brote, lasse sie gehen, schneide die Oberseite mit roboterartiger Präzision ein. Um genau zu sein, war ich noch nie so tüchtig, und am dritten Tag wirft mir Jorge einen vielsagenden Blick zu, als ich vor seinem Arbeitsbeginn bereits alles gespült habe. Nach zwei Nächten bei meiner Mom bin ich in meine eigene Wohnung zurückgekehrt, weil ich mich ja schließlich nicht für immer verstecken kann. Corinne und Emma haben mich besucht. Ash kam auch vorbei und hat mit mir eine Runde „Extreme Racing USA“ gespielt.
Ethan habe ich nicht gesehen. Überhaupt nicht. Marie sagte mir, dass er geschäftlich verreist ist. Seine Abwesenheit ist wie ein Loch in meinem Herzen.
Am Freitagnachmittag bin ich allein in der Bäckerei. Da es heute keine Happy Hour geben wird, sind die schwarzen Witwen bereits um drei gegangen, und Jorge fährt gerade die Abendlieferung aus. Der Gärschrank summt, die Auslage in der Bäckerei ist ausgeräumt, und Roses traurige Kekse für den nächsten Tag sind wieder eingefroren. Die Backstube ist sauber, aber vielleicht gibt es doch noch etwas zu tun. Ich könnte das Fett in der Fritteuse auswechseln. „Was für ein aufregendes Leben du doch hast, Lucy Lang“, sage ich laut vor mich hin. Meine Stimme hallt in der Backstube wider.
Ich verlasse die Bäckerei, lehne mich an einen Laternenpfahl und blicke über den Park. Wieder ein
Weitere Kostenlose Bücher