Lucy kriegt's gebacken
ab, um einen besseren Blick auf den jungen Ethan werfen zu können. Ziemlich süß. Lebhafte braune Augen, schelmisches Lächeln. „Arbeitest du auch dort?“
„Noch nicht. Mein Bruder und mein Vater sind die Chefköche, aber vielleicht irgendwann mal. Und was ist mit dir? In welchem Fachbereich bist du?“
„Konditorin. Ich bin ganz wild auf Desserts.“
„Sie liebt also Süßes“, murmelte Ethan und musterte mich interessiert. Er flirtete mit mir. „Du musst mal ins Restaurant kommen und das Tiramisu meiner Mutter probieren. Das beste Tiramisu in vier Staaten. New York eingeschlossen.“
Wir wurden sofort Freunde. Wir hingen zusammen ab, trafen uns mehrmals die Woche zum Lunch, saßen nebeneinander auf den alten Sesseln im Cable Car Theater, sahen uns alte Filme an und kicherten viel zu laut über die Liebeszenen. „Sex auf Deutsch“, meinte Ethan mal. „Wie furchtbar.“ Das Paar neben uns starrte uns an und flüsterte sich etwas zu - auf Deutsch -, worauf wir in wieherndes Gelächter ausbrachen.
Aber wir blieben nur Freunde. Er war gerade in seinem ersten Jahr, ich in meinem letzten, und in diesem Alter spielte das noch eine Rolle - mit fast zweiundzwanzig fühlte ich mich so viel älter als dieser Neunzehnjährige. Wenn wir ausgingen, durfte er kein Bier trinken - zumindest nicht legal -, und ich hatte schon meine ersten Bewerbungsgespräche mit Hotels und Restaurants, während sein Abschluss noch Jahre entfernt war. Obwohl er ziemlich süß und wirklich witzig war, fehlte, wie man so sagt, das gewisse Etwas . Wir haben nie Händchen gehalten oder uns geküsst oder so. Wir waren einfach nur Kumpels.
Ein paar Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, fuhren wir gemeinsam nach Mackerly, und er nahm mich mit ins Gianni‘s.
„Hey, Leute“, rief er, als wir in die Küche gingen.
„Hey, College-Boy, wie nett, dass du mal vorbeikommst und die Arbeiterklasse besuchst“, hörte ich eine Stimme. Dann drehte Jimmy sich um. Und es war um mich geschehen.
Seine Augen hauten mich als Erstes um - blaugrün und unfassbar schön. Genau wie der Rest seines Gesichts. Umwerfende Wangenknochen, tolle Lippen, ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Ich nahm alles wahr - die goldenen Härchen auf seinen muskulösen Unterarmen, eine Verbrennung an der Innenseite seines Handgelenks, wie der Puls an seinem gebräunten Hals schlug, an dem ich am liebsten sofort mein Gesicht vergraben hätte. Mir war gar nicht klar, dass ich ihn anstarrte - und er mich -, bis Ethan sich räusperte.
„Das ist mein Bruder Jimmy“, sagte Ethan. „Jim, das ist Lucy Lang. Ihrer Familie gehört Bunny‘s Bakery.“
Jimmy machte ein paar Schritte auf uns zu, aber statt mir die Hand zu reichen, sah er mich nur an, und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Hi, Lucy Lang“, sagte er leise, woraufhin ich knallrot wurde. Ethan sagte auch etwas, aber das hörte ich nicht. Zum ersten Mal in meinem jungen Leben erfasste mich heftige Lust. Natürlich hatte ich hier und da einen Freund gehabt, aber das hier - das war etwas anderes. Mein Magen zog sich zusammen, mein Mund wurde trocken, meine Wangen brannten. Dann nahm Jimmy Mirabelli doch noch meine Hand, und ich wäre beinahe ohnmächtig geworden.
Ein paar Stunden später rief Jimmy in der Bäckerei an und lud mich zum Essen ein. Ich sagte Ja. Natürlich sagte ich Ja. Und als Ethan und ich am Samstagabend wieder zusammen zum College zurückfuhren, bedankte ich mich bei ihm dafür, dass er mich seinem Bruder vorgestellt hatte. „Er ist ein toller Kerl“, meinte Ethan nur, dann hörte er sich an, wie ich von ihm schwärmte.
Jimmy Mirabelli war das fehlende Puzzleteil in meinem Leben, wie ich schnell feststellte - ein Mann.
Für meine Mom war es nicht leicht gewesen, Corinne und mich allein großzuziehen. Sie hatte ihr Bestes gegeben - dank Dads Lebensversicherung und Moms kleinem, aber regelmäßigem Einkommen aus der Bäckerei verfügten wir immer über ausreichend Geld. Mom war keine schlechte Mutter, aber immer etwas distanziert, sie fragte nicht, wohin wir gingen oder mit wem - sie sagte, dass sie uns vertraue, und dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihr Kreuzworträtsel oder den Krimi, den sie gerade las.
Als ich aufwuchs, beneidete ich jeden, der einen Dad hatte. Ich betete die Väter meiner Freundinnen regelrecht an und sehnte mich nach Anerkennung, Zärtlichkeit, Strenge, Regeln. Ich weiß noch,
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