Lucy kriegt's gebacken
purem Neid, wie wir alle wussten. Sie arbeitete als Bedienung in einem Imbiss in Kingstown, und als dann das Gianni‘s eröffnete, bekam sie dort einen Job.
Lange bevor ich Ethan oder Jimmy kennenlernte, erzählte Doral-Anne mir schon vom Gianni‘s. Jedes Mal wenn ich sie am Wochenende zufällig auf der Straße traf, fing sie davon an. Wie toll es wäre, dort zu arbeiten. Wie viel Geld sie verdiente. Wie fantastisch die Besitzer wären. Aufs College zu gehen - speziell auf meines - wäre was für Schwächlinge. Sie hingegen arbeite in der Gastronomiebranche! Und wahrscheinlich würde sie eines Tages Geschäftsführerin vom Gianni‘s werden.
Das klingt gut, sagte ich, weil ich immer nett zu allen bin. Woraufhin sie nur noch gehässiger wurde. „Das klingt gut“, äffte sie mich nach. „Lang, du bist so eine bescheuerte kleine Schleimerin.“
Als ich dann Jimmy traf, war Doral-Anne noch immer Kellnerin ohne Aussicht auf einen Geschäftsführerposten. Zwar traute sie sich nicht, mich im Gianni‘s anzumachen, da schließlich ihr Chef in mich verliebt war und mich wie Gold behandelte, aber Mann, wie sehr sie es hasste! Zusammengekniffene Augen jedes Mal, wenn ich das Restaurant betrat. Ruckartige Bewegungen. Übermäßig lautes Gelächter, um mir zu demonstrieren, wie viel Spaß sie hatte.
Einen Monat nachdem Jimmy und ich ein Paar geworden waren, wurde Anne beim Klauen erwischt und gefeuert. Und weil sie vor mir mit dem Geschäftsführerposten getönt und ich nun einen Ehrenplatz in der Mirabelli-Familie innehatte, hasste sie mich daraufhin noch mehr.
Daran änderte sich auch nichts, als ich Witwe wurde. Vier oder fünf Monate nach Jimmys Tod traf ich sie an der Tankstelle, sie war offensichtlich schwanger. Ich hatte gehört, dass der Vater des Kindes irgendein Motorradtyp war, der kurz in der Stadt gehalten hatte.
„Gratuliere, Doral-Anne“, sagte ich pflichtschuldig.
Sie drehte sich zu mir um, starrte mich mit zusammengekniffenen Augen böse an, streckte ihren schwangeren Bauch vor und strich mit beiden Händen darüber. „Ja. Es gibt nichts Schöneres als ein Baby. Ich bin so glücklich. Ich wette, du hättest auch gern eines, hm? Zu schade, dass Jimmy dich vor seinem Tod nicht noch geschwängert hat.“
Sprachlos unterbrach ich den Tankvorgang, obwohl der Tank noch längst nicht voll war, stieg ins Auto und fuhr mit zitternden Händen und einem Eisklumpen im Magen nach Hause.
Doral-Anne bekam ihr Kind - Leo - und ein paar Jahre später ein weiteres. Kate. Diesmal war der Vater wohl Cutty, der verheiratete Besitzer von Cutty‘s Bait & Boat Rental, und obwohl seine Frau ihn daraufhin verließ, weigerte er sich, seine Vaterschaft offiziell anzuerkennen. Doral-Anne arbeitete weiter als Kellnerin, mal hier, mal dort. Und dann, vor einem Jahr, eröffnete ein Starbucks in unserer kleinen Stadt, und Doral-Anne wurde als Geschäftsführerin eingestellt. So wie sie sich aufführt, hat Starbucks das Heilmittel für Krebs, Aids und die gemeine Erkältung entdeckt.
Wo wir gerade vom Teufel sprechen. Doral-Anne taucht in diesem Moment in der Tür auf, einen Besen in der Hand. Als sie mich auf der anderen Straßenseite stehen sieht, versteckt sie den Besen hinter ihrem Rücken, die Muskeln ihrer dünnen Arme stehen hervor wie Seile. „Was geht, Lang?“, ruft sie über die Straße.
„Hi, Doral-Anne“, antworte ich. „Wie geht‘s?“ Dann beiße ich mir auf die Zunge und wünsche, ich hätte nicht gefragt.
„Fantastisch! Der Laden brummt! Aber das weißt du ja längst, weil so viele von euren Kunden jetzt zu mir kommen. Schätze, dein schickes College hat dir letztlich doch nicht so viel gebracht. Tja, bis dann!“ Sie schiebt sich ihre langen Ponyfransen aus der Stirn und geht wieder hinein.
Mit zusammengebissenen Zähnen schimpfe ich mich leise aus, weil ich ihr diese Gelegenheit gegeben habe. Aber ich muss sowieso zurück in die Bäckerei. Meine innere Uhr sagt mir, dass das Brot in fünf Minuten fertig ist.
Wie immer tröstet mich der Duft von Brot. Nicht dass Doral-Anne echten Schaden bei mir angerichtet hätte - sie ist einfach bösartig, das ist alles. Das Murmeln der schwarzen Witwen, die mit ihren geliebten Verstorbenen kommunizieren, dringt in die Backstube. Ich öffne den Ofen. Ah. Fünf Dutzend Laibe Ciabatta, heiß gebacken, goldene Perfektion. „Hallo, ihr Kleinen“, begrüße ich sie und schiebe sie vom Blech, damit sie am Boden nicht verbrennen, und lasse sie auskühlen. Dann drehe
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