Lucy kriegt's gebacken
Stadt ist gekommen - der Bürgermeister, die komplette Stadtverwaltung, Father Adhyatman von der St.-Bonaventure-Kirche, Reverend Covers von der St.-Andrews-Kirche, die sich genau gegenüber befindet. (Oft vergleichen sie ihre Besucherzahlen, und der Gewinner zahlt das Abendessen bei Lenny‘s. Sie pflegen also ein sehr freundschaftliches Verhältnis.) Ash ist hier, wie erwartet ganz in Schwarz und Ketten, meine Mutter starrt sie an wie ein besonders ekliges überfahrenes Tier und merkt nicht, dass Captain Bob währenddessen sie anstarrt. Meine wunderbare Cousine Anne, die Lesben-Ärztin, und ihre spezielle Freundin (wie Iris sie nennt) sind gekommen. Um genau zu sein, versucht Iris sie gerade, zwangszuernähren, denn Laura ist dünn wie ein Supermodel.
Gianni’s Ristorante wird nicht schließen, das hat mein Schwiegervater dann doch nicht übers Herz gebracht. Stattdessen wird der Bruder des Mannes einer Cousine den Laden übernehmen und mal „sehen, wie es läuft“. Das war für mich ehrlich gesagt eine ziemliche Erleichterung. Ich könnte es nicht ertragen, wenn das Restaurant, in dem Jimmy und ich uns kennengelernt haben und wo er so glücklich war, zumachen würde.
„Hallo, Tante Wucy!“ Mein Neffe umarmt meine Beine und wischt sich dabei den Mund an meiner Hose ab.
„Hallo, mein Süßer.“ Ich zerzause sein Haar. Er lächelt zu mir hoch, seine Lippen verziehen sich auf dieselbe Weise wie die seines Vaters. Ich hebe den Kleinen hoch und küsse ihn auf die Wange. „Alles klar, Superstar?“
Er kichert. „Ja. Ich hab Tintenfisch gegessen.“
„Wirklich? Hat‘s geschmeckt?“
Er nickt, dann greift er in die Tasche seines kleinen rosa Oxford-Hemds. „Hier. Ich hab dir auch einen gebracht.“
Er hält einen frittierten Tintenfischring in seiner klebrigen kleinen Hand. „Danke, mein Engel!“ Ich küsse ihn wieder. „Kann ich ihn mir für später aufheben?“
„Okay. Darf ich jetzt wieder runter? Ich muss Daddy suchen, für den habe ich auch einen Tintenfisch.“ Ich setze ihn ab, und er rennt davon.
„Hi, Lucy“, sagt meine Schwester, Emma wie immer an die Brust gedrückt. Zumindest glaube ich, dass es sich um Emma handelt - das Baby ist ganz und gar in eine rosa Decke eingewickelt.
„Kann ich Emma mal sehen?“, frage ich. „Ich würde sie auch gern halten. Darf ich?“
Corinne versteift sich. „Ähm, also … hier sind so viele Leute.“
„Bitte! Ich habe sie schon anderthalb Tage nicht im Arm gehabt“, flehe ich.
„Wenn du sie fallen lässt …“
„Ich werde sie nicht fallen lassen, Corinne. Kann ich bitte meine Nichte auf den Arm nehmen? Ich verspreche, sie nicht umzubringen.“
Meine Schwester blickt mich pikiert an. Wie gerufen erscheint Christopher an ihrer Seite. „Hey, Luce“, sagte er fröhlich. Ah. Ein Verbündeter.
„Hi, Chris. Meinst du, ich kann deine wunderschöne Tochter mal halten?“
„Aber klar.“ Er nimmt Corinne das Baby ab, ignoriert dabei geflissentlich ihren Bände sprechenden Blick, und reicht mir das Bündel.
„Warte!“, zischt Corinne. Sie wühlt in der Windeltasche herum und fischt schließlich eine Literflasche Desinfektionsmittel heraus. Als ich meine Hände damit die erforderlichen dreißig Sekunden eingerieben habe, darf ich endlich Emma auf den Arm nehmen.
Sie schläft. Ich stecke die Decke unter ihrem Gesicht fest, und Corinne will mir gerade erklären, dass ich nicht auf das Baby atmen soll, doch dann erwischt sie Christopher dabei, wie er gerade ein Mozzarella-Tomaten-Häppchen von einem Tablett nimmt. „Chris! Weißt du, wie viel Cholesterin die haben?“, meckert sie los und schlägt ihm das Häppchen praktisch aus der Hand.
Ich entferne mich ein paar Schritte. Die Küchentür wird von einer kleinen Wand verdeckt, und dahinter hat jemand einen Stuhl gestellt - ein hervorragender Platz, um sich zu setzen und das kleine Wesen zu bewundern.
Emmas Haut ist unglaublich - keine Poren, porzellanweiß und weich wie das Innere einer Tulpenblüte. Ihre winzigen Lippen sind wunderhübsch geformt, ihre Wimpern blond und seidig. Sie fühlt sich so warm an auf meiner Brust. Ihr leichtes Gewicht in meinem Arm ist kostbarer als alles, was ich mir vorstellen könnte. Mit meinem desinfizierten Zeigefinger fahre ich eine winzige Augenbraue nach, und Emma seufzt im Schlaf.
Eine Woge von Liebe und Sehnsucht erfasst mich, ein wundervolles, schmerzhaftes Gefühl. Meine Bedenken, einen neuen Ehemann zu suchen, kommen mir in diesem Moment lächerlich
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