Lucy kriegt's gebacken
murmelt Ethan. Ich nicke und lasse den Moment, in dem ich beinahe etwas gesagt hätte, vorübergehen. Ich kann nicht alles haben. Ethan hat recht.
Die Küchentür geht auf, drei Kellner kommen mit vollgeladenen Tabletts herein. Gianni folgt ihnen.
„Hey, Dad. Wie läuft es da draußen?“
„Dieser Idiot Carlo hat das Hühnchen zu lange gekocht, jetzt schmeckt es wie beschissenes Gummi“, brummt Gianni. „Lucy, Kleine, entschuldige meine Ausdrucksweise. Geht es dir gut? Hast du genug gegessen?“ Ethans Vater tritt zwischen uns und legt mir einen Arm um die Schulter. „Du wirst uns besuchen kommen, ja? Es ist wirklich schön dort. Viele Blumen. Ein Golfplatz.“ Jetzt wandert sein Blick wie meiner zuvor zu Jimmys Foto, und sein Gesicht verzieht sich.
„Auf jeden Fall.“ Ich umarme meinen Schwiegervater, und plötzlich beginnt dieser große Mann zu schluchzen. Ich drücke ihn fester an mich und schließe die Augen. Diesen Schmerz wird er für den Rest seines Lebens mit sich herumtragen. Armer Gianni. Armer, armer Mann.
Als ich aufblicke, ist Ethan verschwunden.
12. KAPITEL
„Frau Doktor hat jetzt Zeit für Sie“, sagt die Sprechstundenhilfe, was mir hasserfüllte Blicke der anderen Frauen im Wartezimmer einbringt.
„Sie ist meine Cousine“, erläutere ich ihnen. „Ich brauche nur eine Minute, tut mir leid.“ Niemand gewährt mir eine Antwort.
Ich gehe durch die Milchglastür den Gang hinunter ins Zimmer meiner Cousine.
„Hallo, Anne“, sage ich schon, während ich noch leise an den Türrahmen klopfe. „Danke, dass du dir die Zeit nimmst.“
„Aber klar, Kindchen! Wie geht’s?“
Cousine Anne bittet mich, Platz zu nehmen. Ihre Praxis ist in Newport, und so wie Newport die schickere Variante von Mackerly ist, ist Anne die schickere Variante von mir. Zehn Jahre älter, unglaublich schön und bestechend klug, wie die Diplome von Harvard und Johns Hopkins an der Wand beweisen. Sie trägt ihr grau meliertes Haar modisch kurz geschnitten, und ihre Haut ist das Ergebnis ausreichender Sonnencreme und guter Gene. Sie trägt bequeme, aber stilvolle Kleidung in gedeckten Farben und wunderschönen Schmuck. Ihre Praxis ist ähnlich cool wie sie - Glastisch, grüne Lederstühle und eine umwerfende Sicht auf die Newport Bridge. In einem Bücherregal stehen ein Dutzend medizinischer Bücher, ein hübschen Foto von ihr und Laura und eine schöne Glasskulptur von einem Baby in einem Uterus.
„Ich bin nicht schwanger“, verkünde ich, damit das gleich mal aus dem Weg geräumt ist. „Und ich habe dir als Bestechung Blaubeer-Sahne-Scones mitgebracht.“ Ich stelle die weiße Schachtel auf ihren Schreibtisch.
„Ich liebe Bestechungen“, sagt sie freundlich und späht unter den Deckel. „Lecker.“
„Wie geht es Laura?“, frage ich, um Zeit zu gewinnen.
„Oh, sehr gut. Viel zu tun, weil das neue Schuljahr angefangen hat und so weiter. Am Wochenende fahren wir nach Bar Harbor.“
„Klingt gut.“
„Finde ich auch.“ Sie wartet ab. Das hat sie wahrscheinlich auf der Uni gelernt. Still zu sitzen, bis der Patient es nicht länger aushält und mit der Wahrheit herausplatzt.
„Also, läuft die Lesben-Praxis gut?“, frage ich.
Sie lacht. „Könntest du in dieser Hinsicht vielleicht mal etwas unternehmen? Ich würde meine Mutter zu gern ein einziges Mal ‚meine Tochter, die Frauenärztin‘ sagen hören.“
Ich lächle. „Nun, sie ist sehr stolz auf dich. Und lässt deinen Namen fallen, wann immer es geht.“
Ich habe meinen eigenen Arzt. Es ist nur so, dass ich früher auf Dr. Ianellis Kinder aufgepasst habe. Außerdem sitzt Mrs. Farthing am Empfang, und sie ist die Mutter einer ehemaligen Mitschülerin. Die Arzthelferin Michelle kommt regelmäßig in die Bäckerei (zwei Quarktaschen jeden Montag, Mittwoch und Freitag, und das sieht man ihr ehrlich gesagt figurmäßig auch an). Die andere ist Caroline, die mit Corinne bei den Pfadfinderinnen war. Das Übliche eben.
Anne nickt. „Also, was führt dich zu mir, Lucy?“
Ich zögere. „Ärztliche Schweigepflicht?“
„Aber klar.“
„Ich habe wieder Panikattacken.“ Anne nickt. „Ich meine, ich hatte nach Jimmys Tod einige, natürlich, Atemnot, Herzrasen und so weiter, aber seit ein paar Jahren nicht mehr. Bis vor einigen Wochen.“
„Hat sich in letzter Zeit etwas in deinem Leben verändert?“, fragt Anne.
„Nun, meine Schwiegereltern sind gestern weggezogen.“
Sie nickt und wartet.
„Und ich, ähm … habe wieder angefangen,
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