Lucy kriegt's gebacken
trage Emma in mein Zimmer. Ethan hat die kleine tragbare Krippe mit einem Tuch ausgelegt, übers Fußende hängt eine ordentlich zusammengefaltete Decke. Außerdem hat er eine rosa Stoffgiraffe hineingelegt. Nette Geste. Er ist wirklich ein talentierter Vater.
Ich lege meine Nichte ins Bettchen, decke sie zu und schiebe die Giraffe etwas von ihrem Gesicht weg. Sie murmelt leise, und wieder schwillt mein Herz an. Einen Moment bleibe ich so stehen, lege eine Hand auf ihre kleine Schulter, dann richte ich mich langsam auf. Mein Rücken schmerzt. Das war ein langer Tag.
Corinne ist wach. „Ist sie okay?“, fragt sie, als ich aus meinem Schlafzimmer komme.
„Ihr geht es gut. Sie schläft wie ein Engel.“
„Hat Christopher angerufen?“, fragt sie leise.
Ich setze mich ihr gegenüber in den Sessel. „Nein, Liebes, noch nicht.“
„Wir streiten sonst nie.“ Tränen rollen über ihre Wangen.
„Und das, obwohl ihr seit drei Jahren verheiratet seid?“
„Drei Jahre, sechs Monate und neun Tage.“
Das bricht mir fast das Herz, denn damals wusste ich auch immer ganz genau, wie lange Jimmy und ich zusammen waren.
„Das ist eine ziemlich lange Zeit ohne Streit“, sage ich.
„Ich will einfach, dass alles perfekt ist.“ Sie wischt sich über die Augen. „Was, wenn wir streiten und er dann stirbt? Was, wenn ich als Letztes zu ihm sage: ‚Ich hasse deine Mutter‘ oder ‚Kannst du nicht wenigstens mal den Müll rausbringen?‘ Was, wenn ich ihn wie Mom anbrülle, dass er aus dem Badezimmer verschwinden soll? Ich könnte mir das nie verzeihen.“ Corinne weint. Ich stehe auf, um Taschentücher und ein Glas Wasser zu holen.
„Danke“, wispert sie und putzt sich die Nase. Einen Moment lang schweigen wir. Draußen fegt der Wind übers Meer und verfängt sich in dem Hohlraum unter der Brücke. Ein überirdisches, trauriges Klagen erklingt.
„Ich habe solche Angst, dass ich wie du werde“, sagt Corinne leise. Ihre Lippen zittern. „Und es tut mir so leid für dich, Lucy.“
Ich fühle mich hundert Jahre alt. „Es war schrecklich, Corinne. Aber … ich lebe noch, verstehst du?“ Ich sehe sie direkt an. „Und weißt du, was ich am meisten vermisse?“ Sie schüttelt den Kopf. „Ich vermisse … ich vermisse die alltäglichen Dinge. Die nicht perfekten Dinge.“
Jetzt habe ich auch Tränen in den Augen. „Wir hatten einmal diesen schlimmen Streit“, fahre ich mit zitternder Stimme fort. „Es ging um diese Nachspeise, die ich bei Gianni‘s gemacht habe. Sonst war immer Marie dafür verantwortlich, weißt du?“ Corinne nickt. „Und ich wollte nur, dass sie dieses eine Dessert von mir in die Karte aufnehmen, diese Limoncello-Tarte mit Himbeeren - ach, ist ja auch egal. Aber er hat die Partei seiner Mutter ergriffen, und wir haben die ganze Nacht gestritten. Ich habe gerade die Wäsche zusammengelegt und ihm ein paar Socken an den Kopf geworfen.“
Noch immer kann ich Jimmys erstaunten Gesichtsausdruck sehen, als die Socken von seiner Stirn abprallten. Und auf einmal schneiden Hunderte idiotische, geliebte Erinnerungen durch mein Herz - wie Jimmy einfach immer ins Bad marschiert ist, egal, was ich da gerade machte. Wie er vor dem Bett einhundert Liegestütze machte, dann seinen Bizeps bewunderte und mich aufforderte, es auch zu versuchen. Seine Unfähigkeit, den Tag zu beginnen, ohne vorher drei Wettervorhersagen gegenzuchecken, als wäre er ein Segler, der von den Windverhältnissen abhängig ist.
„Ich vermisse diesen Alltagskram“, flüstere ich. „Du solltest diese Dinge nicht im Keim ersticken, nur damit jede Sekunde etwas Besonderes ist, Corinne. Das hältst du nicht durch. Am Ende bist du ein Wrack.“
Sie nickt, Tränen laufen über ihre Wangen. „Es war so hart“, gesteht sie. „Ich bin so erschöpft, Lucy. Meine Brüste bringen mich fast um, und ich habe überhaupt keine Ahnung, wie man mit einem Baby umgeht. Wenn sie weint, habe ich sofort ein schlechtes Gewissen und denke bloß: ‚Oh, bitte, Emma, ich halte das nicht mehr aus.‘ Gestern war ich beim Einkaufen, und Emma hat so ein Theater gemacht. Ich hatte in der Nacht vielleicht eine Stunde geschlafen, und irgendeine alte Frau meinte, das wäre jetzt die glücklichste Zeit in meinem Leben. Ich hätte ihr am liebsten ein Messer in den Rücken gerammt!“
Bei der Vorstellung, wie die sanftmütige Corinne eine Rentnerin im Supermarkt umbringt, breche ich in schallendes Gelächter aus. Und nach einer Minute muss Corinne ebenfalls
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