Lucy und Olivia 04 - Die Vampirverschwoerung
Olivia sanft. Es fühlte sich gut an, ein Kompliment von ihm zu bekommen, auch wenn er nicht wusste, dass sie es war.
»Ich wollte dich eigentlich überraschen«, gab Mr Vega zu. Er griff in seine Hosentasche und reichte Olivia ein zusammengefaltetes Stück Papier. Sie faltete es mit zitternden Händen auseinander.
Es war die Kohlezeichnung, an der er vor einigen Tagen gearbeitet hatte, als Olivia und Lucy ihn in seinem Arbeitszimmer überrascht hatten. Olivia sah jetzt, dass es ein Entwurf für den unglaublichsten Weihnachtsbaum aller Zeiten war.
»Es ist eine Flindersia«, erklärte ihr Vater ihr, »ein seltener Baum, den ich extra bestellt habe.«
Auf der Zeichnung wirkte der Weihnachtsbaum fast genauso groß, wie er in Wirklichkeit war, und reichte vom Boden bis zur Decke der Eingangshalle. Der gesamte Baum war so kunstvoll geschmückt, dass es aussah, als wäre er von einer glitzernden zarten Spinnwebe bedeckt. Obendrauf hockte eine Fledermaus.
»Er ist wunderschön«, flüsterte Olivia.
»Ich wollte etwas Besonderes für dich machen, um unser letztes Weihnachten in diesem Haus zu feiern.« Ihr Vater lächelte liebevoll.
»Danke … Dad. Das ist einfach umwerfend«, sagte Olivia aufrichtig. Dann streckte er die Arme aus und umarmte sie fest und Olivia zersprang beinahe das Herz.
»Können wir ihn heute Abend schon schmücken?«, fragte sie kurz darauf.
Er schüttelte den Kopf. »Heute nicht, Liebes. Es ist schon zu spät. Wir machen es morgen.«
»Okay«, sagte Olivia sanft und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
Ein wenig später lag Olivia im Dunkeln auf Lucys Sarg und erinnerte sich daran, wie ihr Vater sie eben
umarmt hatte. Sie lächelte vor sich hin. Vielleicht ist Lucy einverstanden, morgen noch mal die Rollen zu tauschen, dachte sie beim Einschlafen. Vielleicht können Dad und ich den Baum zusammen schmücken.
Am Freitagmorgen stand Olivia in einer Kabine des Schulklos und beeilte sich zehn Minuten vor Beginn ihrer Sozialkundeprüfung, die Kleider mit Lucy zu tauschen. Hektisch schälte sie ihre Beine aus Lucys schwarzen Leggings.
»Ihr habt Brian Warchuck getroffen?«, fragte sie die Trennwand aus Metall.
»Er ist immer noch in dich verliebt«, hallte Lucys Stimme aus der benachbarten Kabine herüber.
Olivias Herz raste. »Wie sah er aus?«
Ihr ganzes bisheriges Leben lang hatte sie sich danach gesehnt, ihren Märchenprinzen wiederzusehen.
»Wie eine pickelige Bohnenstange«, antwortete Lucys Stimme nüchtern.
»Oh nein«, sagte Olivia und griff nach dem flauschigen rosa Pullover, den Lucy gerade über die Trennwand geworfen hatte. »Er war früher so süß!«
»Tja, das ist er immer noch, wenn du Jungs magst, die sich die Haare mit Vaseline an die Stirn kleben«, erklärte Lucy.
Olivia hörte, wie die Kabinentür nebenan auf- und
zuging. »Aber jetzt solltest du dich lieber beeilen. Wir kommen sonst zu spät zu unserer letzten Prüfung. Und außerdem habe ich dir noch gar nicht erzählt, wie wir es verhindern, dass unser Vater nach Europa zieht.«
»Was sagst du da?« Olivia schnappte nach Luft. Sie riss die Tür zu ihrer Kabine auf und sah, wie ihre Schwester sie mit verschränkten Armen angrinste.
»Wir ziehen nicht weg«, sagte Lucy. »Der Traumjob unseres Vaters ist aufgetaucht – und zwar genau hier in Franklin Grove!«
Olivia hörte aufmerksam zu, als Lucy ihr erzählte, wie sie das Gespräch des Museumsdirektors über die Stelle, die am Kunstmuseum entstehen sollte, belauscht hatte. Es klang einfach perfekt!
»Glaubst du wirklich, dass er sich darauf bewerben würde?«, fragte Olivia.
»Das hat er bereits«, sagte Lucy und hob eine Augenbraue. »Ich habe Mr Grosvenor gestern Abend am Computer deiner Eltern von meinem E-Mail-Account aus eine Mail geschickt. Ich habe all meine Fähigkeiten erwähnt: meine langjährige Unterstützung des Museums; was für ein wichtiges Mitglied der Gemeinschaft ich bin; all die Designpreise, die ich gewonnen habe. Es war einer meiner besten Texte bisher.«
»Ich wusste gar nicht, dass du Designpreise gewonnen hast«, sagte Olivia beeindruckt.
»Die E-Mail ist ja nicht von mir«, erklärte Lucy. »Sie ist von Charles Vega. Aber nachdem meine E-Mail-Adresse nur aus meinem Nachnamen besteht, wird Mr Grosvenor den Unterschied nicht bemerken.«
»Du hast eine E-Mail gefälscht?«, fragte Olivia.
»Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen«, sagte Lucy. »Sogar Gefängnis wäre weniger schlimm als
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