Lucy und Olivia 04 - Die Vampirverschwoerung
dem dicken Bauch hing. Und einen bärtigen Mann mit einer Schaufel, von dem Olivia annahm, dass es ein Totengräber war.
Die sind großartig! Olivia schmunzelte.
»Die Tradition der Weihnachtsbissen fandest du früher immer lustig«, ertönte plötzlich die Stimme ihres Vaters, der fast klang, als spräche er mit sich selbst. »Als du noch ganz klein warst, hast du immer mit ihnen Tee getrunken. Du hattest ganz genaue Vorstellungen. Der
Lehrer musste neben dem Bauarbeiter sitzen und so weiter. Und dann, gerade wenn es sich deine winzigen Gäste bequem gemacht hatten, kam das, was dir am meisten Spaß machte.« Ein Lächeln erstrahlte auf seinem Gesicht. »Du hast ihnen allen die Köpfe abgebissen.« Er nickte in Erinnerungen schwelgend vor sich hin. »Und wie du gelacht hast, wenn das Blut spritzte.«
Olivia sah die Bissen in ihrer Hand an.
Die sind mit Blut gefüllt?, fragte sie sich. Ihr wurde ganz schlecht.
Nachdem er einen Moment geschwiegen hatte, sah Mr Vega Olivia an und sein Lächeln verschwand.
»Die ganze Zeit über, die wir jetzt den Baum geschmückt haben«, sagte er mit gequälter Stimme, »habe ich überlegt, wie ich dich um Entschuldigung bitten kann, Lucy.«
»Wofür?« Olivia zitterte. »Dafür, dass ich dich von hier wegbringe. Aus diesem Haus, von deinen Freunden, von…« Seine Stimme erstarb und er schüttelte den Kopf. »Ich möchte hier auch nicht weg. Diese Stadt ist mir zum Zuhause geworden, als ich keines hatte. Die Einwohner haben mich aufgenommen, als ich dachte, mein Leben wäre zu Ende. Ich glaube, es gibt wenige Orte auf der Welt wie Franklin Grove.«
»Und warum gehst du dann weg?«, fragte Olivia.
Etwas Dunkles und Hartes blitzte in den Augen ihres Vaters auf.
»Ich könnte nicht ruhig leben, wo ich in der tiefsten Gruft meiner Seele weiß, dass es am besten für uns ist,
wegzugehen«, sagte er mit fester Stimme. »Manchmal ist eine Veränderung das Beste.«
Das ist vielleicht die einzige Gelegenheit, es ihm auszureden, die ich je haben werde, dachte Olivia.
»Ich musste in letzer Zeit schon mit einer Menge Veränderungen zurechtkommen«, versuchte sie es. »Ich bin vor Kurzem zum ersten Mal meiner Zwillingsschwester begegnet, von der ich nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Außerdem habe ich wunderbare Freunde hier, ich mache bei der Schülerzeitung mit und… und… ich gehe mit diesem echt coolen Typen …«
»Ich weiß, Liebes«, sagte Mr Vega.
»Und außerdem bin ich sicher, dass es genau hier in Franklin Grove eine Menge neuer Jobmöglichkeiten für dich gibt«, fuhr Olivia fort.
Ihr Vater nickte zerstreut, aber zu Olivias Enttäuschung antwortete er nicht. Nach einem Augenblick sah er auf und räusperte sich.
»Erzähl mir was von Olivia. Wie macht sie sich denn in der Schule?«
Das traf Olivia vollkommen unerwartet. Sie hätte nie gedacht, dass ihr Vater sich überhaupt für sie interessierte.
»Äh«, begann sie. »Ich glaube, gut. Wahrscheinlich kriegt sie lauter Einsen im Zeugnis – vorausgesetzt, ihre Algebra-Prüfung ist gut gelaufen.«
Ihr Vater lächelte. »Gut«, sagte er. »Das ist gut. Und hat sie viele Freunde?«
»Na ja, weißt du«, sagte Olivia, die langsam in
Schwung kam, »sie ist erst im September nach Franklin Grove gezogen, von daher lernt sie gerade erst Leute kennen.« Camilla fiel ihr ein. »Sie ist sehr gut mit Camilla Edmunson befreundet, diesem Mädchen, das echt schlau und der totale Science-Fiction-Fan ist.«
Ihr Vater nickte zufrieden.
»Und sie verbringt viel Zeit mit Sophia und Brendan«, fügte sie hinzu. »Aber ich bin irgendwie absolut ihre beste Freundin.«
Olivia hielt inne. Es verwirrte sie, so von sich selbst zu sprechen. Außerdem habe ich mich gerade angehört wie ein Cheerleader und nicht wie ein Grufti, dachte sie und musterte das Gesicht ihres Vaters, um zu sehen, ob es ihm aufgefallen war.
»Und Olivia ist ein richtig guter Cheerleader«, konnte sie sich nicht verkneifen, hinzuzufügen.
»Sie ist ein bemerkenswertes junges Mädchen«, sagte Mr Vega zärtlich. »Ich bin wirklich froh, dass wir sie kennengelernt haben.«
Olivia hatte das Gefühl, als hätte das Kompliment ihres Vaters sie zum Schweben gebracht und als stünde sie einen Augenblick perfekt ausbalanciert und triumphierend in seiner Handfläche.
Er akzeptiert mich, dachte sie. Er interessiert sich für mich und für das, was ich bin. Wenn er weggeht, weiß ich zumindest das.
»Ich weiß, wie schmerzlich es für dich sein wird, sie
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