Lucy
aufgeben.«
»War sie hier?«, fragte der Detective. »Glauben Sie, dass sie gekidnappt wurde von denen, die auch die Notizbücher gestohlen haben?«
»Nein. Ja. Tut mir leid. Es ist etwas kompliziert. Ich werde es Ihnen erklären.«
|340| 38
Lucy hörte Musik und fragte sich: Ist das möglich? Wo sind wir? Geigen eilten unaufhaltsam wie ein Eisenbahnzug dahin. Die verrückte Logik von Oboen, Waldhörnern und Bratschen, die alle im Gleichschritt marschierten. Dann erkannte sie es: Das war Bach. Die Brandenburgischen Konzerte. Yehudi Menuhin. Sie öffnete die Augen. Eisners Gesicht trieb über ihr, verkehrt herum.
»Früher haben wir den Schädel immer kahl rasiert«, sagte er, während er arbeitete. »Aber dann haben wir entdeckt, dass die Rasur mikroskopisch kleine Schnitte in der Kopfhaut hinterlässt, die sich entzünden können. Seit wir nur noch einen Bürstenhaarschnitt machen, ist die Anzahl der Infektionen deutlich zurückgegangen.« Eisner wandte sich an eine der Krankenschwestern und sagte: »Alles vorbereiten zum Klammern, bitte.«
Zwei Männer waren nötig, um die komplizierte metallene Apparatur, die an den Seiten und oben spitze Schrauben hatte, anzuheben. Sie senkten sie auf ihren Kopf herab.
»Gut. Genau hier.«
Ein grelles Licht blitzte links von Lucy auf, doch sie konnte den Kopf nicht bewegen, um nachzusehen, was es war. »Können Sie gut sehen?«, fragte Eisner.
»Ja, wunderbar, machen Sie nur weiter«, sagte jemand.
Lucy hörte ein schwirrendes Geräusch, dann ein sattes Klicken wie von der Verschlussklappe einer Kamera. Wieder blitzte ein Licht auf, ein jaulender Ton, dann noch ein Lichtblitz.
|341| »Ich hab’s«, sagte der andere, und die melancholischen Klänge des Adagio setzten ein.
Eisner drehte an den Schrauben und sagte: »Das könnte etwas pieksen.« Lucy spürte, wie die Schraubenspitzen ihre Kopfhaut berührten und sie, als er die Schrauben fester drehte, durchstießen. Es fühlte sich an, als würde ihr zu dem grausam beharrlichen Hämmern des Allegros mit kraftvollem Griff der Kopf zerquetscht. Dann spürte sie einen schneidenden Schmerz an beiden Seiten des Kopfes. Lucy begann zu schreien. »Geben Sie ihr bitte etwas mehr Fentanyl.« Sie schrie und schrie, dann hörte der Schmerz plötzlich auf, und sie wurde ohnmächtig.
Als Lucy die Augen wieder öffnete, hörte sie das schleifende, rhythmische Geräusch einer Maschine, das unerklärlicherweise in ihrem Kopf war. Sie roch Rauch, verbranntes Fleisch. Das Menuett erklang. Sie sah Eisner, verkehrt herum, der sich über sie beugte. Seine Brillengläser waren wie zwei helle weiße Scheiben in einem augenlosen Gesicht. Er hatte etwas in der Hand, konzentrierte sich ganz auf Lucy und arbeitete rasch und routiniert. Sie hörte die wahnwitzige Präzision des Fagotts, das vor den Oboen im Walzertakt erklang. Dann bemerkte sie, dass sich Eisner in dem großen Oberlicht spiegelte und sie ihn deutlich sehen konnte. Er bohrte ein Loch in ihren Kopf. Und er hatte recht gehabt, sie spürte keinen Schmerz. Aber sie spürte den Druck, und der Lärm in ihrem Kopf war entsetzlich. Es klickte und blitzte wieder, eine Kamera – jetzt begriff sie, dass jemand sie fotografierte.
Unter ihrem Kopf hing ein blauer Plastikmüllbeutel. Sie sah, dass aus ihrem Kopf Blut dort hineinfloss, versetzt mit cremefarbenen Knochenpartikeln. Der feierliche Trompetenmarsch begann.
»Machen Sie die Musik bitte etwas lauter.«
|342| »Gern, Herr Doktor.«
Nein, nein, dachte Lucy, bitte nicht lauter. Es erschien ihr alles zu irrsinnig, um wahr zu sein. Es fühlte sich an, als wären die Maschine und das Orchester beide in ihrem Kopf. Die aufdringlichen Trompeten peinigten ihr Gehirn mit jeder Note. Sie kämpfte gegen die Haltegurte an.
»Etwas mehr Beruhigungsmittel, bitte«, sagte Eisner und bohrte weiter. »Nur noch eine weitere Bohrung, dann können wir das Stück herausnehmen.« Und tatsächlich, plötzlich hörte der Lärm auf. Lucy konnte die zirpenden Geräusche des Operationssaals wahrnehmen und Eisners pfeifenden Atem, der jetzt schwer war von Anstrengung. Wieder flackerte das Blitzlicht auf.
»Na also. Das hätten wir.« Eisner hob ein Knochenstück von Lucys Schädel hoch und ließ es in eine Stahlschale fallen, die ihm eine Krankenschwester hinhielt. Ein Teil von mir ist auf immer dahin, dachte Lucy, als ein melancholischer Satz begann. Menuhins Geige weinte vor dem Hintergrund einer klagenden Blockflöte.
»Jetzt machen wir nur noch
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