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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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dass sie ein Ziel verfolgte und nicht einfach alles geschehen ließ. Es zeichnete sich sogar ein Hoffnungsschimmer am Horizont ab, als Sy Joseph anrief und erzählte, dass eine kürzlich ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs darauf schließen lasse, dass das Recht auf Haftprüfung in den Vereinigten Staaten vielleicht bald wieder umfassend gelten werde.
    »Aber setzen Sie Ihre Hoffnungen nicht zu früh darauf«, fügte er hinzu. »Die Richter haben in der Vergangenheit schon ähnliche Meinungen dargelegt, und die Regierung hat sie einfach ignoriert.«
    Eines Morgens saß Jenny in ihrem Arbeitszimmer und versuchte, ein paar Dinge zu erledigen. In der Nacht zuvor hatte es ein ungewöhnliches Herbstgewitter gegeben, und als Blitz- und Donnerschlag die Umgebung erschütterten, war sie voller Traurigkeit gewesen, als sie sich an Lucys Regentanz erinnerte, der die Polizei mit heulenden Sirenen auf den Plan gerufen hatte. Jetzt waren die Wolken davongezogen, und der Himmel leuchtete blau. Die Luft war klar. Seit die Sonne immer weiter |353| nach Süden zurückwich, wurden auch die Birkenblätter gelb, und Jenny dachte an die ruhigen Abende, die sie mit den beiden Mädchen verbracht hatte, als sie noch zur Schule gingen. Ein Abend war ihr besonders im Gedächtnis haften geblieben, als Lucy ihre Lieblingspassage der Dichterin Edna St. Vincent Millay rezitierte:
     
    Nicht das Rascheln von Kinderfüßen
    Durch gelbe Blätter im Rinnstein
    Im blauen und bitt’ren Herbst
    Wird je befrieden mein Nachsinnen
    Denn die Schönheit dieses Klangs
    Wird niemals wieder
    Zu hören sein.
     
    »Wenn man stirbt, dann geht man«, hatte Lucy gesagt. »Aber wohin geht die Stimme? Nichts sonst auf der Welt kann diesen besonderen Klang hervorbringen. Genauso wie es nie wieder genau dasselbe Gewitter geben wird, wenn eines davongezogen ist. Jeden Tag geschehen Dinge, die es so noch nie zuvor gegeben hat. Und Dinge, die es so nie wieder geben wird.« Sie hatte innegehalten und dann hinzugefügt: »Wie mich.«
    Was war geschehen mit dieser schönen Seele, fragte Jenny sich, mit der Seele, die es so nie wieder geben würde? Wo war Lucys Stimme, mit der sie im Garten italienische Arien gesungen hatte, jetzt?
    Während sie an ihrem Kaffee nippte, dachte Jenny darüber nach, was wohl geschehen wäre, wenn sie Lucy damals nicht gefunden oder wenn sie beschlossen hätte, Lucy im Dschungel zu lassen. Hätte sie ohne ihren Vater unter den Bonobos leben können? Sie kannte ihre Lebensweise. Ihre Mutter war tot, aber Lucy war schon alt genug, um zu begreifen, dass sie |354| ihre Familie hätte verlassen und sich mit einem Männchen einer anderen Gruppe hätte paaren müssen. Doch hätte eine andere Bonobofamilie sie überhaupt akzeptiert? Lucy hatte ihr erzählt, wie Leda sie einmal mitgenommen hatte, um sich eine andere Familie anzusehen. Leda war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Lucy akzeptiert werden würde. In ihrer neuen Familie wäre dann erwartet worden, dass sie Nachwuchs bekam. Hätte sie schwanger werden können? Vielleicht war sie unfruchtbar. Aber wenn sie schwanger geworden wäre, was für ein Kind hätte sie im Wald wohl bekommen? Wäre dann ein neuer Typus entstanden, einer allerdings, den ihr Vater nie im Sinn gehabt hatte? Vielleicht sprechende Bonobos statt Menschen mit Bonobo-artigen Vorzügen?
    Wie in Abwehr dieser Gedanken machte Jenny eine ruckartige Bewegung und kippte ihren Kaffeebecher um.
    »Mist.«
    Sie riss eine Handvoll Papiertücher aus der Schachtel und wischte den Tisch ab. Dann kniete sie sich auf den Boden. Auch der kongolesische Teppich, den sie vor einigen Jahren mitgebracht hatte, war voller Kaffeeflecken. Während sie mit den Papiertüchern den Kaffee auftupfte, sah sie hinter dem kleinen Aktenschrank, der unter ihrem Schreibtisch stand, etwas Oranges. Sie kroch weiter unter den Tisch, und als sie es aus den Spinnweben zog, erkannte sie, dass es eins von Donald Stones Notizbüchern war. Wie kam das denn dort hin? War es versehentlich dort gelandet, als sie die Notizbücher in ihrem Arbeitszimmer verstreut hatte? Das war gut möglich, wenn sie bedachte, wie aufgewühlt sie an jenem Tag gewesen war. Vielleicht war es auch einfach von ihrem unordentlichen Schreibtisch gerutscht. Jenny stand wieder auf und sah es sich eingehender an.
    |355| Sie las immer noch darin, als Amanda in der Tür auftauchte. »Jenny, ich   – oh, was ist das denn? Ist das eins seiner Notizbücher?«
    »Ja, es lag hinter

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