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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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ein gepolsterter grauer Stuhl mit einer Kopfhalterung und Arm- und Beinfesseln, und um den Stuhl herum viele elektronische Geräte auf Rollen. Lucy sah den Stuhl an, sah sich selbst darin sitzen und dachte: Nein, nein. Das bin nicht ich. Das ist nicht mein Ende. Ich habe immer noch andere Pläne.
    Eisner hatte gesagt: »Gewisse höhere Mächte wollen dich tot sehen.« Und: »Ich bin entschlossen, dich zu schützen, solange es mir möglich ist.« Lucy hatte verstanden, was das bedeutete. Ein Monat, ein Jahr, zehn Jahre   – wer wusste schon, wie lange man sie quälen würde? Doch letzten Endes würde man sie töten. Keine Spur von ihr würde bleiben. Sie begriff jetzt, wie gründlich sie vorgingen. Sie war freiwillig aus der Welt dort draußen verschwunden. Weggelaufen. Im Wald verloren gegangen. Im Fluss ertrunken. Jenny, Amanda und Harry würden nach ihr suchen, dann hoffen, schließlich trauern. Und Lucy würde zu Asche werden und im Wind um den Globus kreisen. Kein Geschöpf wie sie würde je wieder existieren. Und es würde keine Beweise dafür geben, dass sie je existiert hatte. Sie würde die Einzige ihrer Art bleiben.
    Den ganzen Tag lang dachte Lucy nach, während sie die Sonne über den Fußboden ziehen sah. Lautlos rezitierte sie Gedichte, Dramen und Geschichten, um ihren Geist wach zu halten. »Wer wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?« Einer von Eisners Pflegern kam, schob ein Tablett mit Essen in den Schacht und ging wieder. Lucy ließ es stehen. Essen wäre nur Ballast, der unverdaut im Magen liegen blieb, wenn der Adrenalinstoß sie erfasste, und das würde geschehen, da war sie sich sicher. Im Großen Strom konnte |359| sie spüren, dass etwas kam, aber sie wusste noch nicht, welche Gestalt es annehmen würde. Sie war bereit für alles.
    Ihre Gedanken wandten sich düstereren Versen zu, als der Tag weiter voranschritt.
     
    Tu fermeras l’œil, pour ne point voir, par la glace,
    Grimacer les ombres des soirs,
    Ces monstruosités hargneuses, populace
    De démons noirs et de loups noirs.
     
    Doch schließlich erstanden wieder Hoffnung und Zuversicht in ihr. »Als ich noch jung war und leicht unter den Apfelzweigen   …«
    Sie hatte sich in das Abwarten gefunden und landete bei Whitman, als das Licht allmählich rötlich wurde. »Ich habe schnelle Stromleiter in mir   …« Dann wurde es dunkel. Die Natriumdampflampen sprangen an und summten bedrohlich über ihr. In Vorbereitung dessen, was auf sie zukam, trank Lucy die Flasche Wasser aus, die ihr der Pfleger mit dem Essenstablett gebracht hatte. Sie sah das Essen an, das in Fett erstarrt war. Eine Idee formte sich in ihr, doch sie war noch immer unklar.
    Sie hörte den Schlüssel im Schloss und blieb regungslos, abwartend. Schon als der Mann eintrat, wusste sie, dass von ihm Gefahr für sie ausging. Er sandte alle Signale aus, die einem Angriff vorausgingen. Die Art, wie er sich bewegte, sein Blick, der bittere Geruch seines Schweißes   – all das traf sie wie ein Schlag. Er war ein großer, schwerer Mann Mitte vierzig mit dunklen, kurz geschnittenen Haaren und hellblauen Augen, einem ausgeprägten, kantigen Kinn und einer breiten Nase. Sie saß ganz still da und versuchte, ihn einzuschätzen. Er beobachtete Lucy ebenfalls, als er in einem Bogen durch |360| den Raum lief. Warum kam er nicht direkt auf den Käfig zu, fragte Lucy sich. Was hatte er vor?
    Er schloss mit einem Schlüssel einen der Stahlschränke auf und holte ein Gewehr heraus. Sie spürte, wie sie zu zittern begann, als ihr klar wurde, dass er sie mit einem Pfeil betäuben wollte. Warum? Wohin wollte er sie bringen, wenn sie bewusstlos war? Hatte Eisner ihm das aufgetragen? Nein, das hätte er erwähnt. Eisner war genauso penibel aufrichtig wie er mitleidlos grausam war. Doch als sie den Mann weiter beobachtete, merkte sie, dass er nicht auf sie schießen wollte. Er hatte etwas anderes vor. Aber was? Sie wusste, dass er nicht hierher gehörte. Er trug Jeans und ein kariertes Hemd. Keine O P-Kleidung , keinen Laborkittel, keinen Mundschutz.
    Mit dem Gewehr in der Hand ging der Mann wieder zur Tür und verschwand. Vielleicht nahm er es ja nur irgendwo mit hin, um ein Tier zu betäuben. Lucys Gedanken rasten, ihr Herz hämmerte, und sie musste sich zwingen, langsamer zu atmen und nachzudenken. Nein. Sie wusste, dass von ihm Gefahr für sie ausging   – speziell für sie, nicht für andere. Er hatte zwar noch nichts getan, aber er bereitete etwas vor. Etwas

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