Lucy
Dank.« Jenny presste sich die Hand an die Brust, damit ihr Herz aufhörte, so wild zu hämmern. Sie schloss die Augen und spürte, wie ihr die Tränen kamen. »Wie geht es ihr?«
Amanda hüpfte auf und ab und wirbelte im Kreis herum. »Er hat sie! Er hat sie! Er hat sie!«, rief sie immer wieder und tanzte durchs Zimmer.
»Wann werden sie hier sein?«
»Ruth sagte, sie fahren jetzt ab. Wie lange haben wir bis hierher gebraucht? Eine Stunde?«
»Habe ich geschlafen?«
»Ja, ungefähr drei Stunden. Ich gehe jetzt duschen!«, rief Amanda, ganz außer sich vor Aufregung. »Ich gehe jetzt duh-hu-schen!«
»Ich auch.«
»Schnell, schnell, schnell! Oh Gott, ich bin ja so glücklich!«
Jenny lachte, weil Amanda so völlig aus dem Häuschen war. Auch sie fühlte sich, als wäre ihr die Last der Welt von den Schultern genommen worden. Aber als sie sich auszog und dann im aufsteigenden Wasserdampf unter der Dusche stand, dachte sie: Es ist noch nicht vorbei. Diese Leute werden die Suche nach Lucy nicht aufgeben. Und was, wenn Lucy wirklich einen Mann getötet hatte? Dann würde landesweit Jagd auf sie gemacht werden. Diese Jagd war wahrscheinlich sogar schon im Gange.
Jenny schauderte und fragte sich, ob Amanda diese Gedanken auch schon gekommen waren. Sie war noch nicht ganz fertig mit dem Anziehen, da kam Amanda frisch umgezogen und mit noch nassen Haaren ins Zimmer getanzt. »Können |390| wir nicht zum Tor rausfahren und Lucy dort begrüßen? Ob Ruth wohl Weintrauben hat?«
»Wieso Weintrauben?«
»Für Lucy.«
»Bestimmt. Komm, wir gehen zum Haupthaus rüber.«
Ruth fuhr sie mit dem Chevrolet Suburban hinaus zum Tor. Dann wurde Amanda auf einmal ganz still und saß fast schon bedrückt mit einem Plastikbeutel voller Weintrauben auf dem Schoß da.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Amanda schließlich.
»Die Frage habe ich mir auch schon gestellt«, sagte Jenny. »Es ist noch nicht vorbei.«
»Aber sie ist zu Hause, das ist das Wichtigste«, meinte Ruth.
»Ja, wir haben sie wieder.« Amanda sah Jenny mit einem fragenden Blick an.
»Ja«, sagte Jenny und versuchte zu lächeln. »Genießen wir es, solange wir können.« Doch sie hatte das Gefühl, dass sie die Worte nicht richtig gewählt hatte. »Sie muss zu Donna.«
»Ja. Zu Donna«, wiederholte Amanda. Sie hielt kurz inne und kaute nervös an den Fingernägeln. »Wir werden es doch alle heil überstehen, oder?«
»Ja«, sagte Jenny. »Wir werden es alle heil überstehen. Ganz bestimmt.«
|391| 48
Ruth blieb im Auto sitzen, als Jenny und Amanda ausstiegen und sich in der Wüstenlandschaft die Beine vertraten. Die Sonne stand niedrig, und das ganze Land um sie herum war in rötlich gelbes Abendlicht getaucht. Die Wolken schienen in Flammen zu stehen, und der Himmel dehnte sich schier endlos. Amanda kickte Steine herum, Jenny bewunderte die Wildblumen und Kakteen. Sie sahen eine Eidechse, und eine Elster mit langem Schwanz kam heranspaziert und beäugte sie neugierig. Jenny warf auch einen Blick auf die bizarren Felsen ringsum, die sie zu überwachen schienen. Trocken und beigebraun waren sie, mit grünen Flecken hier und da, und von felsigen Spalten und Vorsprüngen zerklüftet.
Amanda nahm drei Steine auf und versuchte, mit ihnen zu jonglieren, aber vergebens. Sie lachte, als sie über etwas nachsann.
»Was ist denn?«, fragte Jenny.
»Weißt du noch«, begann sie und unternahm einen erneuten Jonglierversuch, »damals bei Harry, als Lucy mich einen Menschen nannte und ich deshalb beleidigt war? Und wie wir dann beide diesen wilden Lachkrampf gekriegt haben!«
»Ja …«
»Und wie sie dir zu Weihnachten diesen Pullover schenkte, weil wir beide nicht wussten, dass du allergisch bist gegen Wolle. Aber du wolltest ihre Gefühle nicht verletzen und hast ihn das ganze Abendessen über getragen.«
»Ja, ich hatte eine Woche lang fürchterlichen Ausschlag. |392| Und Harry hat Cortisonsalbe in mein Oil of Olaz gemischt und es ›Oil of Harry‹ genannt.«
»Harry ist total verrückt. Was ich absolut positiv meine.«
Die Sonne tauchte die zerklüfteten Felsen in ein knalliges Rosarot, das dem Abendhimmel etwas Unheimliches gab. Jetzt konnte man in der Ferne auf der Straße eine Staubwolke sehen, die langsam größer wurde.
»Das ist sie«, sagte Amanda.
Der Wagen war noch ziemlich weit weg. Sie standen einfach nur da und warteten so lange, wie sie noch nie gewartet zu haben schienen. Dann endlich kam ein weiterer weißer Chrevrolet Suburban in
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