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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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Jenny fuhr mit der Hand über Lucys Beine.
    »Was denn?«
    »Einen Moment noch.« Sanft strich sie Lucy mit den Händen über die Arme, über die Schultern und den Hals. Dann hielt sie inne. Da war es, eine kleine Erhebung an Lucys Nacken. »Ich hab’s gefunden. Ich brauche etwas mit sehr scharfer Klinge, ein Rasiermesser vielleicht.«
    »Ich hole den Erste-Hilfe-Kasten«, sagte Ruth.
    »Setz dich, Lucy«, sagte Jenny. »Es ist ein Chip, den sie zur Überwachung von Tieren einsetzen. Sie injizieren ihn unter die Haut.«
    Als Ruth mit dem Erste-Hilfe-Kasten zurückkam, griff Jenny nach einem Skalpell, einem Wattebausch und Alkohol. Sie wischte die Stelle an Lucys Nacken mit dem Alkohol ab. »Das wird etwas wehtun.«
    Lucy gab keinen Laut von sich, als sie ihr die Haut einritzte. Dann hielt Jenny ihr die offene Handfläche hin, in der ein blutverschmiertes Metallteilchen lag, kaum zwei Zentimeter lang und nicht dicker als eine Bleistiftspitze. Lucy starrte es an. Jenny wischte den Schnitt an Lucys Nacken noch einmal mit Alkohol ab und klebte ein Pflaster darauf.
    Luke musterte den Überwachungschip, stieß ein böses Knurren aus, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Wohnzimmer. Als er zurückkam, hatte er einen Hammer in der Hand. Er legte den Chip auf den Boden und schlug mit solcher Wucht zu, dass eine der Fliesen einen Sprung bekam.
    Einen Augenblick lang starrte Jenny den zerstörten Chip auf der roten Fliese an. Dann hob sie den Kopf. »Lucy, ich liebe dich«, sagte sie. »Bitte, sei vorsichtig.«
    Lucy trat einen Schritt zurück.
    |399| »Versuch nicht, anzurufen oder zu schreiben   … Zumindest eine Zeit lang nicht. Vermutlich eine lange Zeit   …«
    »Ja, ich verstehe«, erwiderte Lucy und drehte sich zu Ruth um. »Sie passen doch auf Mom auf, ja?«
    »Aber natürlich«, sagte Ruth. »Das tun wir.«
    Lucy küsste Jennys gesenkten Kopf, umarmte Ruth und drückte Luke einen Kuss auf die Wange. Dann schlüpfte sie rasch durch die Hintertür hinaus und in die dunkle Wüstennacht. Sie war kaum zwanzig Minuten durch die weite Landschaft gerannt, als sie den Hubschrauber hörte. Oh nein, jetzt haben sie mich im offenen Gelände erwischt, dachte sie. Doch der Hubschrauber flog über sie hinweg, mit grün und rot blinkenden Lichtern, und zog lärmend weiter in die Nacht hinein.
     
    Als Lucy gegangen war, standen Ruth, Luke und Jenny eine Weile einfach nur im Wohnzimmer und starrten ins Leere. Keiner wusste, was er sagen sollte. Sie alle waren im Schockzustand und warteten eigentlich darauf, dass die Welt sich plötzlich wieder zusammenfügen und ein Sinn erkennbar würde. Jenny spürte, wie sie am ganzen Körper mit einer solchen Intensität zitterte, dass sie fürchtete, es könnte sie zerreißen. Sie konzentrierte sich darauf, tief ein- und auszuatmen. Sie nahm wahr, dass der Wind den Rauch von verbranntem Mesquiteholz herantrug. Sie nahm wahr, dass Ruth, die sich so beherrscht hatte, bis Lucy ging, nun leise weinte. Aus dem Nebenzimmer meinte Jenny Amandas Lachen zu hören, und ein Schauder überlief sie. Dann erkannte sie, dass es ein Nachtvogel war, der draußen sein Lied sang.
    Danach dauerte es nicht mehr lange, bis sie die Scheinwerfer der Polizeiwagen auf das Haus zukommen sahen. Sie gingen hinaus, um den Sheriff des Bernalillo County zu begrüßen, |400| den Luke und Ruth mit Bill ansprachen. Er war ein gut aussehender junger Mann mit hellbraunem, ordentlich gescheiteltem Haar und von ausgesucht höflichem Benehmen. Luke wiederholte, was er schon beim Wählen des Notrufs gesagt hatte. Jenny und Ruth hatten nur wenig hinzuzufügen. »Nun«, sagte der Sheriff, »wir gehen davon aus, dass der Schuss von den Felsen im Süden gekommen sein muss. Es sind bereits Leute von uns dort, zusammen mit der Staatspolizei. Das Ganze tut mir wirklich sehr leid. Eine schreckliche Sache.«
    Die Assistenten des Gerichtsmediziners rollten eine Bahre aus dem Haus und zur offenen Heckklappe des unauffälligen Vans. Dann klappten sie das Untergestell ein und wollten sie hineinschieben, doch Jenny lief zu ihnen hin. »Warten Sie«, rief sie, trat an die Bahre und zog das Laken zurück. Amanda sah aus, als würde sie nur schlafen, sogar ihr Haar war verwuschelt. Liebevoll strich Jenny darüber. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie küsste Amanda auf die Stirn. »Auf Wiedersehen, Liebes«, sagte sie.
    Dann wurde das Laken wieder über Amandas Gesicht gezogen, und Jenny ging ins Haus und wählte eine

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