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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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den Blick. Er kam näher und immer näher, bis sich schließlich das Tor öffnete und das staubige Gefährt vor ihnen hielt. Der rote Himmel spiegelte sich in den Scheiben. Luke stieg aus, kam auf sie zu, nickte einmal kurz in Amandas Richtung, dann trat er auf Jenny zu, beugte sich vor und flüsterte: »Sie ist etwas verlegen wegen ihres Aussehens. Sie hat eine Menge durchgemacht.« Jenny sah an ihm vorbei, während Amanda schon auf den Wagen mit den rotflammenden Scheiben zulief. Einen Meter von der Tür entfernt zögerte sie, und einen Augenblick lang tat sich gar nichts.
    »Lucy?«, fragte Amanda.
    Dann öffnete sich die Beifahrertür, ein Bein in Jeans kam zum Vorschein, mit einem riesigen Tennisschuh am Fuß. Noch ein Fuß, noch ein Bein. Ein Teenager, ein Junge mit einer Baseballkappe stieg aus und spähte blinzelnd in das Abendlicht der Wüste.
    »Wo ist Lucy?«, fragte Amanda und drehte sich nach Luke um. Dann sah sie den Jungen wieder an.
    »Was   … «, begann Jenny. »Wo ist Lu…« Sie hielt inne. Dann fragte sie: »Lucy?«
    »Lucy?«, fragte jetzt auch Amanda.
    |393| Der Junge verzog verlegen den Mund, als wäre ihm so viel Aufmerksamkeit irgendwie peinlich. Dann schlug er sich die Hände vors Gesicht, und Jenny und Amanda hörten Lucys Stimme sagen: »Es tut mir leid   …«
    »Lucy!«, rief Amanda, rannte auf sie zu und nahm sie in die Arme. »Lucy, oh mein Gott, Lucy, was haben sie dir angetan?« Die beiden Mädchen hielten einander ganz fest und weinten.
    »Oh, Lucy.« Mit den Tränen kämpfend lief Jenny zu ihnen und schlang ihre Arme um sie beide. »Oh nein. Oh, Lucy, Lucy.«
    Luke war inzwischen zu ihnen getreten. »Wir sollten lieber ins Haus gehen, diese Stelle hier ist zu leicht einsehbar«, sagte er.
    »Ja, kommt alle ins Haus«, fügte Ruth hinzu. »Lucy braucht Ruhe und etwas zu essen und   –«
    »Amanda, hilf mir, sie ins Auto zu bringen«, bat Jenny.
    Von Jenny und Amanda zu beiden Seiten umschlungen, machte Lucy einen zögernden Schritt auf die offene Tür von Ruths Wagen zu und sagte: »Ich musste das tun.«
    »Du bist wieder bei uns«, sagte Amanda. »Nur das allein zählt.«
    »Jetzt werden wir uns um dich kümmern«, fügte Jenny hinzu.
    »Wir haben Weintrauben mitgebracht«, erzählte Amanda. »Eine große Tüte voll.«
    Lucy lächelte sie matt an. »Hmm«, machte sie.
    »Ich liebe dich, Lucy«, sagte Amanda.
    »Ich liebe dich auch.«
    Zuerst dachte Jenny, dass Amanda über einen Stein gestolpert sei. Es war, als ob es ihr einfach die Beine unter dem Körper weggezogen hätte, so wie es beim Eislaufen manchmal passierte. Ein schwaches ploppendes Geräusch drang aus großer |394| Ferne heran, und sie alle drehten sich danach um. Aber das Rosarot des Abendhimmels war dahin, und die Felsen verschwanden in einer farblos grauen Dämmerung. Dann zerriss Lucys Schrei die Stille. Als Jenny sich wieder zu den anderen umdrehte, sah sie Lucy einen Schritt von Amanda zurückweichen, die Hände vor den Mund geschlagen und die Augen aufgerissen. Sie war voller Blut, ebenso wie Amanda.
    »Runter! Alle runter!«, schrie Luke und schubste Jenny in den Wagen. Sie steckte den Kopf noch einmal heraus und sah, wie Lucy sich auf Amanda warf, die auf dem Boden lag, ein seltsam gurgelndes Geräusch von sich gab und mit einem Bein zuckte. Lucy schrie in hohen kreischenden Tönen, die Jenny so zuletzt im Dschungel gehört hatte und die ein Inbegriff von Schock und Trauer waren. Luke rannte zu den Mädchen, hob Amanda auf und schob sie neben Jenny auf die Rückbank. Ruth griff nach Lucy, drängte sie in den Wagen und stieg nach ihr ein, während sie rief: »Luke, fahr du!«
    Luke sprang auf den Fahrersitz, schlug die Tür hinter sich zu, und dann rasten sie durch die Wüstenlandschaft davon.
    Holpernd ging es über den felsigen Boden, während Lucy immerzu schrie: »Amanda! Nein! Amanda!«
    Jenny sah auf Amanda hinab, die halb auf ihrem Schoß lag, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein großer roter Fleck breitete sich in der Mitte ihres T-Shirts aus. Jenny presste die Hand darauf und konnte das warme Blut spüren. »Amanda«, sagte sie. »Oh nein, Amanda.«
    Amandas Blick konzentrierte sich zuerst auf Lucy, dann auf Jenny und flackerte schließlich rasch hin und her. Sie hustete einmal. »Ich bin gestolpert«, sagte sie. Dann hörte sie auf zu atmen.
    »Oh Gott«, murmelte Luke, während der Wagen über den unebenen Wüstengrund vorwärtsschoss.
    |395| Lucys Schrei füllte das Wageninnere

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