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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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vollkommen aus. Jenny drückte rhythmisch auf Amandas Brustkorb und keuchte dabei: »Komm schon, Amanda, atme. Nicht aufhören. Komm schon. Amanda! Amanda!«
    Sie legte ihren Mund auf Amandas und schmeckte Blut. Sie blies ihr Luft in die Lungen und hörte sie blubbernd durch das Loch in Amandas Brust wieder entweichen. Als sie beim Haus ankamen, lag Lucy mit angezogenen Beinen in sich zusammengerollt in einer Ecke der Rückbank. Amanda rührte sich nicht mehr, ihr Blick war leer. Jenny und Ruth starrten sie fassungslos an.
    Dann wurde die Wagentür geöffnet, und Luke hob Amanda behutsam heraus und trug sie ins Haus, in eines der hinteren Schlafzimmer. Die drei Frauen folgten ihm benommen.
    Jenny setzte sich mit Lucy im Arm auf das Sofa. Lucy zitterte so stark, dass ihr die Zähne klapperten. Sie waren beide von Schmutz und Blut bedeckt.
    »Okay, okay, okay«, sagte Jenny. »Immer schön atmen.« Doch mitten in ihrem Versuch, die Lage unter Kontrolle zu bekommen, brach Jenny plötzlich selbst hilflos in Tränen aus. Ruth stand aufrecht und ernst daneben, mit bleichem Gesicht und aufgerissenen blauen Augen. Dann kniete sie sich vor Jenny und Lucy hin, schlang ihre Arme um sie beide, und so verharrten sie. Draußen war es vollkommen dunkel geworden.

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    Lucys Vater hatte immer gesagt, dass es eine natürliche Schönheit in der Welt gebe und Rettung darin liege, sie zu finden und anzunehmen. Lass sie nicht los, sagte er. Denn wenn schlimme Dinge passieren   – und das tun sie immer   –, ist es das Einzige, was dich aufrecht hält. Ohne sie wirst du hinabgezogen in eine Finsternis, aus der es kein Entrinnen gibt.
    »Der Tod ist gegenwärtig«, sagte er. »Der Tod ist immer gegenwärtig. Auch in diesem Augenblick. Er ist auf dem Weg zu uns, und man kann nur versuchen, die Schönheit zu sehen.«
    Vielleicht war ihr Vater wirklich verrückt, dachte Lucy. Er hatte auf jeden Fall etwas sehr, sehr Verrücktes getan, als er sie in diese Welt holte. Es fiel ihr schwer, jetzt an ihn zu denken. Er war liebevoll zu ihr gewesen, zärtlich, klug und witzig, und so ernst er war, so albern konnte er auch sein. Doch was hatte er nicht alles angerichtet.
    Lucys Trauer um Amanda war unaussprechlich. Ihre menschlichste Freundin. Ihr freundlichster Mensch. Liebe, süße Amanda. Amanda und Jenny. Arme Jenny.
    Lucy kannte den Tod. Sie kannte ihn aus dem Wald. Er war ein natürlicher Teil des Lebens, aber das machte es nicht leichter, wenn er kam. Großkatzen, Schakale, Habichte   – sie alle lagen immer dort draußen auf der Lauer, hungrig. Lucy kannte den Tod. Der Tod war kein Mysterium. Er traf jeden. Das Mysterium war das Leben. Sie wusste um den Tod. Was sie nicht wusste, war, warum sie lebte.
    |397| Auch die anderen trauerten um Amanda in jener Nacht, fassungslos und verwirrt, unfähig, in all dem einen Sinn zu erkennen, während sie auf die Polizei warteten. Lucy legte sich neben Amanda auf das Bett, auf das Luke sie gelegt hatte. Lucy hielt sie und sog ein letztes Mal ihren Duft ein, ihr Haar mit dem frischen Wind darin, den Sonnenschein auf ihrer Haut, den durchdringenden Geruch ihres Blutes. Sie drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und sagte: »Ich liebe dich.« Dann ging sie hinaus ins Wohnzimmer und setzte sich zu Jenny. Sie hielten einander fest und weinten, und zwischendurch erzählte Lucy Jenny, was ihr angetan worden war, und sie weinten wieder. Aber Lucy wusste, dass es Zeit war, zu gehen.
    »Mom«, sagte Lucy, als sie sich schließlich wieder in den Griff bekam. Sie stand auf und trat einen Schritt zurück. »Mom, ich liebe dich. Dein selbstloses Wesen. Du hast mich aus dem Wald geholt und mir eine neue Welt gezeigt. Ich danke dir.«
    Jenny brach in Lucys Armen beinahe zusammen, und Lucy hielt sie fest, bis ihr Schluchzen versiegte.
    »Mom, ich muss gehen. Ich kann nicht bleiben, ich habe einen Mann getötet.« Jenny presste die Hand vor den Mund. »Und jetzt das hier.«
    Ruth und Luke saßen eng umschlungen auf einem Sofa in der anderen Ecke des Wohnzimmers. Jetzt stand Luke auf, griff in seine Hosentasche und reichte Lucy ein Bündel Banknoten. »Hier. Es sind nur zweitausend Dollar, aber das sollte erst mal weiterhelfen.«
    »Danke.«
    Jenny riss sich zusammen und richtete sich auf. »Komm mal her zu mir«, sagte sie. »Ich muss etwas überprüfen.«
    »Was denn überprüfen?«
    »Sie haben dich hier gefunden, und ich glaube, ich weiß |398| wie. Sie wären Dummköpfe, wenn sie es nicht getan hätten.«

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