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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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Telefonnummer.
    »Harry«, sagte sie. »Es ist vorbei.«

|401| 50
    Lucy floh durch die staubige Ödnis und hielt sich, wo es ging, unter den verkrüppelten Pinienbäumen. Es war noch dunkel, als sie auf der Zufahrtsstraße zum Highway, der nach Norden führte, von einem Lastwagenfahrer mitgenommen wurde. Er hieß Ned, fuhr einen riesigen Sattelschlepper mit achtzehn Rädern, der Wegwerfwindeln geladen hatte, und sagte, er sei aus Kentucky. Sie lachten gemeinsam über die Witze, die er über die Windeln machte, und bei Tagesanbruch spendierte er Lucy in Colorado ein Frühstück. Sie aß eine Kartoffelpfanne mit Rührei und Speck und viel Ketchup, eins der Dinge, die Lucy in Amerika mit am besten gefielen. Ketchup und Tabasco-Soße. Nördlich von Denver setzte er Lucy ab, und sie geriet an einen Dentisten, der ihr während der Fahrt dauernd die Hand aufs Knie legte und ihr erzählte, wie gut ihm so schlanke athletische Jungs gefielen. Er fuhr mit ihr auf einen Rastplatz, wo er versuchte, ihr die Hose herunterzuziehen. Sie biss ihm zwei Finger ab und ließ ihn im Gras neben dem Auto liegen, wo er sich vor Schmerzen krümmte. Auf der Zunge hatte sie den bitteren Geschmack seines Blutes.
    In Iowa war das Laub bereits von den Bäumen gefallen. Ein kräftiger Wind blies über den Highway, und es war kalt geworden. Ein Kleinbus voller Frauen, die alle überzeugte Anhängerinnen Jesu waren, nahm sie mit bis nach Milwaukee. Eine der dominanten Frauen der Gruppe nahm Lucy bei der Hand und sagte: »Mein Sohn, versuch doch wenigstens einmal, |402| Jesus als deinen persönlichen Retter anzunehmen. Versuch es nur einmal.«
    In Milwaukee angekommen, fuhr Lucy mit dem Bus zum Zoo. Sie wartete, bis die Sonne unterging, und näherte sich dann von hinten durch den Wald. Die Bonobos begannen zu kreischen, als sie näher kam. Das Geschrei schwoll zu einem Crescendo an, und nach einiger Zeit erschien Donna am hinteren Zaun. Zitternd vor Kälte winkte Lucy ihr zu. Donna erkannte sie sofort, rannte zu ihr in den Wald und schloss sie in die Arme.
    »Mein Gott«, sagte sie. »Lucy, bist du es wirklich? Was ist passiert? Was haben sie dir angetan?«
    »Sie haben mir das Haar geschoren«, antwortete Lucy. »Und sie haben mich aufgeschnitten. Oben am Kopf.« Sie begann zu weinen.
    »Oh du armes Ding.« Donna legte den Arm um sie und zog sie zum Gebäude. »Wenigstens bist du jetzt hier. Wie bist du   –« Sie zögerte. »Geht es Jenny gut?«
    »Ja, mit Mom ist alles in Ordnung. Aber sie haben Amanda erschossen.«
    »Oh Gott! Das ist ja furchtbar!«, rief Donna, hielt aber gleich wieder inne. »Das tut mir so schrecklich leid. Was ist geschehen?«
    »Sie haben mich aufgespürt. Als sie mich operierten, haben sie mir auch einen Überwachungschip eingesetzt. Aber das wusste ich nicht. Sie haben doch nach mir gesucht und nicht nach Amanda. Ich bin sicher, dass die Kugel für mich bestimmt war. Amanda hatte lange Haare, so wie ich früher. Weil ich jetzt aussehe wie ein Junge, müssen sie sie mit mir verwechselt haben. Ich weiß es auch nicht. Sie haben sie einfach erschossen, und wir haben nicht mal gesehen, wer es war.«
    »Oh, wie furchtbar. Wir müssen dich hineinbringen. Komm. |403| Schnell. Ich habe alles vorbereitet. Komm. Ich habe schon auf dich gewartet.«
    Donna führte Lucy in ihr Büro, in dem ein ziemliches Chaos herrschte. Sie schloss die Tür hinter sich. »Du solltest duschen. Frische Sachen zum Anziehen für dich habe ich hier. Muss ich dich irgendwie versorgen? Bist du verletzt?«
    »Nein, verletzt bin ich nicht.«
    »Was ist mit dem Überwachungschip?«
    »Den hat Mom schon herausgeholt.«
    Donna öffnete eine Tür. »Da drin ist eine Dusche«, sagte sie. »Ich hole schnell die Kleider.«
    Lucy duschte rasch und wusch sich auch vorsichtig den Kopf. Als sie abgetrocknet war, brachte Donna ihr frische Jeans, ein Arbeitshemd und Turnschuhe, und außerdem noch eine Baseballkappe mit dem Logo der Milwaukee Brewers, damit sie ihre Kopfwunde bedecken konnte. Lucy zog alles an, und Donna musterte sie mit kritischem Blick.
    »Gut. Sehr gut«, sagte sie schließlich, nahm noch eine Jacke vom Haken und reichte sie Lucy. »Zieh die über. Es ist kalt draußen.«
    »Kann ich noch tschüss sagen?«, fragte Lucy.
    »Was?« Donna war verwirrt. »Wem denn?«
    »Den Bonobos.«
    »Ach so. Natürlich.«
    Sie gingen ans hintere Ende des Geheges, und die Bonobos sammelten sich leise am Maschendrahtzaun und steckten ihre zarten Finger durch die

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