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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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Löcher. Lucy lief am Zaun entlang und berührte jeden Einzelnen von ihnen. Als sie fertig war, stieß sie einen Klagelaut aus, und die Bonobos klagten mit ihr. Sie wusste inzwischen, wie es war, in Gefangenschaft zu leben.
    »Jetzt komm«, sagte Donna dann. »Wir haben nur noch eine Chance.«
    |404| »Wohin gehen wir denn?«, fragte Lucy.
    »Du gehst über den Parkplatz vor dem Zoo und hinaus auf die Straße. Da ist eine Bushaltestelle. Nimm den Bus, der dort hält, es ist die Nummer 151, und steig erst an der Endhaltestelle aus. Dort werde ich auf dich warten. Jetzt können sie dich nicht mehr überwachen. Aber ich will sichergehen, dass mir keiner folgt, nur für den Fall. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Hast du Geld?«
    »Ja.«
    »Okay, wir sehen uns in etwa einer Stunde.« Donna gab Lucy einen Kuss auf die Stirn. »Ich bin so traurig über Amandas Tod. Ich weiß, wie schwer das für dich ist.« Dann eilte sie hinaus.
    Lucy ging über die Holzbrücke und an den Pinguinen vorbei zum Hauptportal des Zoos. Dann lief sie quer über den Parkplatz zur Straße, und eine halbe Stunde später saß sie im Bus.

|405| 51
    Jenny und Harry nahmen die Landstraßen, aßen in kleinen Diners und ließen sich Zeit auf der Fahrt nach Hause. Keiner von beiden wusste, wie das Leben aussehen würde, wenn sie dort ankamen. Und sie hatten beide Angst davor. Also trödelten sie in Heimatmuseen unbekannter Kleinstädte herum, machten Wanderungen im Cimarron National Grassland und sahen sich die Knochenüberreste der Wollhaarmammuts an, die dort einst in großen Herden gelebt hatten.
    Als sie die Unmengen von Knochen betrachteten, sagte Harry: »Die hat alle der Mensch getötet.«
    Sie fuhren durch den Mark Twain National Forest und machten beim Bass River Resort eine Kanufahrt. Sie fingen Fische und grillten sie am Flussufer zum Abendbrot. Als sie an diesem Abend in ihr Hotelzimmer zurückkehrten   – denn irgendwie war es ihnen ganz natürlich erschienen, sparsam zu sein und ein Doppelzimmer zu nehmen   –, weinte Jenny, weil sie an Boundary Waters denken musste. Harry hielt sie in den Armen, bis ihre Tränen versiegten.
    Jenny wusch und wusch sich, aber sie wurde Amandas Blut, das noch unter ihren Fingernägeln klebte, nicht los. Als Harry und sie sich umarmten und gemeinsam weinten, war der dunkle Rand unter ihren Fingernägeln alles, was Jenny durch den Schleier ihrer Tränen sehen konnte.
    In Dubuque fuhren sie mit der Drahtseilbahn und aßen in einem malerischen alten Restaurant mit roten Lederpolstern und Kronleuchtern zu Abend. Zurück in ihrem Hotelzimmer, |406| nahm Jenny eine lange heiße Dusche. Als sie in ihren Bademantel gehüllt herauskam, stand Harry mitten im Zimmer da, so als hätte er auf sie gewartet. Mit eindringlichem Blick sah er sie an, und Jenny fragte: »Was ist?« Doch Harry sah sie einfach nur an, und Jenny erwiderte seinen Blick. Dann nahm er sie in die Arme und hielt sie eine Weile ganz fest.
    »Ich vermisse die Mädchen«, sagte er. »Ich vermisse die Mädchen unsagbar.«
    »Ich weiß.«
    Wegen der vielen Beiträge über die Gedenkkerzen und Mahnwachen für Amanda und Lucy hatten sie es vermieden, die Nachrichten anzusehen. Aber an diesem Abend rief Ruth an und riet Jenny, CNN einzuschalten. Jenny und Harry sahen die Nachrichtensendung in ihrem Motelzimmer. Polizeibeamte von Bernalillo County und die Staatspolizei von New Mexico hatten im Mordfall Amanda Mather einen der Tat dringend verdächtigen Mann aufgespürt. Als der Verdächtige in einer einsam gelegenen Wüstengegend das Feuer eröffnete, hatte die Polizei ihn erschießen müssen. Seine Identität wurde noch nicht preisgegeben, da man zunächst seine nächsten Angehörigen ausfindig machen wollte.
    Am nächsten Morgen rasten sie, wie von Furien gehetzt, den Highway von St. Louis bis nach Chicago und hielten unterwegs nur, um zu tanken. Es war später Nachmittag, als sie Jennys Haus erreichten. Harry stieg aus dem Auto aus und hievte ihren Koffer aus dem Kofferraum. Aber Jenny saß nur da und starrte auf ihr efeubewachsenes Haus. Harry ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür.
    »Harry, ich habe hier zuletzt die ganze Zeit mit Amanda gewohnt«, sagte Jenny.
    Harry sagte kein Wort. Das musste er nicht. Er schloss die Tür, legte den Koffer zurück in den Kofferraum, stieg wieder |407| ein und fuhr mit Jenny zu sich nach Hause. Es gab nichts zu besprechen. Mit seinem gewohnten Gleichmut ging Harry zum Gefrierschrank, als sie

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