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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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ihre Schultern sich entspannten und ihr Kopf klar wurde. Bücher waren so viel einfacher als Fernsehen, dachte sie. In einem Buch geht es logisch von einer Sache zur nächsten.
    Und so lag Lucy schließlich lesend auf dem Teppich, erleichtert, dass sie nirgends hingehen musste. Kurz nach ihrer Ankunft war Jenny mit ihr Kleidung kaufen gegangen, eine |43| Erfahrung, die ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. Die Geschwindigkeit, mit der sie Auto gefahren waren, hatte Lucy jede Orientierung genommen und ihr war fast schlecht geworden. Sie hatte das Gefühl gehabt, als könnte sie nichts länger als eine Sekunde im Blick behalten. Und sie hielt es auch für ein sehr schlechtes Zeichen, dass man sich im Auto erst einmal anschnallen musste, ehe es losging. Das hatte ihr schon im Flugzeug Angst gemacht: Sie war zuvor noch nie irgendwo festgebunden gewesen. Als sie dann in der Stadt ankamen, schienen dort alle Gebäude bis in den Himmel zu reichen. Es war furchteinflößend und seltsam schön zugleich. Von all diesen Dingen hatte sie zuvor natürlich schon in Büchern gelesen, aber trotzdem war es ein Schock gewesen, sie tatsächlich zu sehen.
    Der Lärm im Einkaufszentrum war ohrenbetäubend gewesen. Überall spielte laute Musik, der man gar nicht entkommen konnte. Und auch all den Bildschirmen mit den unablässig schreienden Leuten konnte man nicht ausweichen. Als sie Orwells Roman
1984
las, hatte Lucy sich einen Ort wie den vom Autor beschriebenen nicht vorstellen können und es für reine Fantasie gehalten. Doch jetzt sah sie, dass Orwell recht hatte: Seine Teleschirme waren überall, und man konnte sie nicht ausschalten.
    In dem Einkaufszentrum roch es nach Blumen und Zucker. Es wimmelte von Leuten, doch Lucy konnte keine Signale von ihnen auffangen, kein Anzeichen eines Erkennens. Die Älteren schienen wie in Trance zu laufen, und die Jüngeren hatten Stöpsel in den Ohren. Lucy fragte Jenny, was das sei.
    »Diese Dinger? Das sind Kopfhörer. Für Musik.«
    »Musik und immer noch mehr Musik! Wie können sie das nur aushalten?« Aber Jenny lachte bloß und drückte ihr die Hand.
    |44| Die Farben waren alle so grell. Lucy konnte sich gar nicht entscheiden, wohin sie zuerst schauen sollte oder was sie bedeuteten. Und die Lichter über ihren Köpfen summten und zischten wie Schlangen, was sie schrecklich nervös machte. Lucy klammerte sich immer fester an Jennys Arm, bis Jenny sich beschwerte: »Lucy, du tust mir weh. Hab keine Angst. Ich werde dich schon nicht loslassen.«
    Jenny hatte sie in ein Kaufhaus geführt, durch die Kosmetikabteilung hindurch, wo Lucy sich Nase und Mund mit den Händen zuhalten musste gegen all die Gerüche. Vor der Rolltreppe war Lucy dann wie angewurzelt stehen geblieben. Von Rolltreppen hatte sie schon gelesen, aber sie hatte nie zuvor eine echte gesehen. Und so stand sie einfach nur da und versuchte, das Rätsel der verschwindenden Treppenstufen zu verstehen, das ihr eine tiefere Magie zu bergen schien, so wie das Möbiusband, das ihr Vater einst aus einem Stück Papier für sie gemacht hatte.
    »Tritt einfach drauf«, sagte Jenny.
    Doch Lucy rührte sich nicht vom Fleck, sondern stand mit weit aufgerissenen Augen da und begann, die Rolltreppe mit hohen, schrillen Lauten anzubellen.
    »Lucy, bitte. Schsch«, sagte Jenny. »Hier ist es nicht wie im Urwald. Wir müssen leise sein.« Die Leute starrten sie bereits an und machten mit erschrockener Miene einen Bogen um sie. »Ich helfe dir. Komm. Es ist völlig ungefährlich.«
    Lucy klammerte sich an Jennys Arm und schloss die Augen, als Jenny sie mit auf die Rolltreppe zog. Sie zitterte vor Angst und hielt die Augen fest geschlossen. Dann stolperte sie über irgendetwas und fiel beinah hin, doch Jenny hielt sie aufrecht. Als Lucy wieder festen Boden unter den Füßen spürte, öffnete sie die Augen und sah sich um. Dann lachte sie plötzlich, zum ersten Mal.
    |45| »Das war’s schon. Siehst du? Ist doch ganz einfach.«
    Jenny führte Lucy in die Young-Miss-Abteilung und sagte, sie dürfe sich aussuchen, was sie wolle. Lucy konnte sich jedoch für gar nichts entscheiden, und so wählte Jenny schließlich ein paar Sachen aus, die sie anprobierte. Sie gingen zusammen in die Umkleidekabine, und Lucy drehte und wand sich, als krabbelten Insekten in den Kleidern, bis Jenny endlich aufhörte zu lachen und sich entschuldigte. »Du siehst hinreißend aus. Und mach dir keine Sorgen, die Sachen werden sich besser anfühlen, wenn ich sie erst mal

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