Lucy
ein paarmal herum, bis ein Video erschien, ein anderes diesmal, in dem kleine Gestalten im Zickzackkurs einen großen weißen Berg herunterglitten. Laute Musik spielte, während einige der Gestalten in die Höhe sprangen und sich um sich selbst drehten.
»Sind das da Menschen im Schnee?«, fragte Lucy.
»Ja, und sie haben ihre Füße an ein Brett geschnallt, deshalb heißt es Snowboard. Snow – Schnee. Board – Brett. Snowboarden.«
»Wow. Kannst du das auch?«
»Ja. Ich kann’s dir beibringen, wenn du willst. Im Winter.«
»Das fände ich reizend.«
»Nein!«, rief Amanda entsetzt. »Sag einfach: ›Endcool.‹«
»Endcool?«
»Vertrau mir: ›Endcool‹«, erwiderte Amanda und hielt eine Hand hoch. »Na los, High Five.« Lucy schlug ihre Hand gegen Amandas. »Au, doch nicht so fest.«
»Tut mir leid.«
Amanda klickte wieder zu dem Video von Nathalie zurück, |142| die jetzt zwei Finger in die Höhe hielt. »Fakt Nummer zwei: Ich bin Labello-süchtig.«
»Weißt du, was ein Labello ist, Lucy?«, fragte Amanda.
»Rate mal«, gab Lucy leicht verzweifelt zurück.
»Du hast ein Problem, Luce«, begann Amanda. »In deinem sonst so großen Wissen klafft eine ernsthafte Lücke, wenn’s um Konsumprodukte geht. Du brauchst dringend eine amerikanische Grundausbildung. Hier in Amerika dreht sich alles um Produkte. Kaufen, kaufen, kaufen, essen, essen, essen, konsumieren, konsumieren, konsumieren.« Amanda hatte kaum einmal Luft geholt zwischendurch. »Lebensmittel, Kleider, Autos, Zeug eben – alles Mögliche.«
»Aber wozu all dieses Zeug? Das verstehe ich nicht. Das meiste braucht man doch gar nicht. Wir werfen viele von unseren Sachen zum Beispiel wieder weg. Warum kauft man sie dann überhaupt erst?«
»Keine Ahnung. Sie werden einfach zu Müll. Und es ist ja auch so: Es gibt dauernd neue Sachen. Alte Sachen sind doof. Neue Sachen sind immer besser.«
»Ich dachte eigentlich, alte Sachen sind besser als neue«, entgegnete Lucy.
»Na ja, manche alten Sachen sind schon gut, zum Beispiel der Ehering deiner Großmutter oder Schallplatten von Tom Petty oder den Beatles. Aber wenn’s um Alltagskram geht, hörst du immer, dass das, was du schon hast, Scheiße ist und dass du dir was Neues kaufen sollst.«
»Was Neues
holen
soll.«
»Ja, genau: Was Neues holen. Frühstücksflocken mit neuer Geschmacksrichtung zum Beispiel. Du weißt doch, was Frühstücksflocken sind, oder?«
»Ja, diese Choco Krispies da.« Lucy zeigte auf das Video mit Nathalie, die die Packung noch in der Hand hielt.
|143| »Genau: Choco Krispies, gutes Beispiel. Es war einmal vor langer Zeit, da lebten noch Dinosaurier auf der Erde, und es gab doch tatsächlich bloß die einfachen Krispies. Aber nach einiger Zeit hatte jemand die großartige Idee, dass man die mit Schokolade überziehen könnte, und
voilà
, schon gab’s Choco Krispies! Ein neues Produkt war geboren.«
»Und was ist nun ein Labello?«
»Ein Fettstift, mit dem man die Lippen eincremt, wenn sie spröde und rissig sind.«
»Oh, so was kenne ich auch. Im Dschungel haben wir dafür den Saft einer Aloepflanze benutzt.«
»Genau: Aloe. Es war einmal vor langer Zeit, da gab’s bloß einfache Fettcreme. Doch dann tat jemand Aloe hinein, und Bingo: ein neues Produkt. Oh, und angenommen, du magst Choco Krispies. Dann mach dich darauf gefasst, dass du eines Tages in den Laden kommen und keine mehr finden wirst. Stattdessen gibt’s dann plötzlich neue, viel bessere Krispies, denn hey, wir wollten doch alle schon längst diesen klebrig süßen Schokogeschmack loswerden, und jetzt kannst du hundertprozentige Vollwert-Bio-Krispies essen, oder was weiß ich. Aber es sind natürlich noch immer nichts weiter als Frühstücksflocken.«
»Sie verkaufen also die alten Krispies einfach wieder unter einem neuen Namen?«
»Richtig! Und sie gehen davon aus, dass wir zu blöd sind, es zu merken. Was wir ja auch sind.«
»Aber ich verstehe es immer noch nicht. Wozu das Ganze?«, fragte Lucy.
Amanda beugte sich zu Lucy hinüber. »Ich glaube ja, das Ganze ist eine Verschwörung, um irgendwen reich zu machen«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
Lucy blieb das alles ein einziges Rätsel. Warum sollte jemand |144| reich sein wollen? Aber sie fand, dass sie schon dumm genug wirkte, ohne auch noch diese Frage zu stellen. »Los, lass uns noch andere Leute anschauen.«
»Auf YouTube? Klar.« Amanda ließ eine Anzahl Videos laufen, in denen Teenager über sich selbst redeten und
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