Lucy's Song
schaffte es, einen Grill umzukippen. Sein Vater musste mit dem Gartenschlauch die Glut auf dem Rasen löschen. Der kleine Bruder fand das witzig, obwohl er ausgeschimpft wurde. Er lief über das nasse Gras, rutschte aus und hatte auf seinem weißen Hemd schwarze und grüne Streifen.
»Eins ist wohl jedes Jahr gleich«, seufzte die Mutter. »Kinder, die nicht auf ihren Füßen stehen bleiben können.«
Wir grillten Würstchen, tranken Limonade und aßen Eis. Die Mutter fragte mich, wie es bei uns zu Hause lief, und ich antwortete, dass es gut lief, dass meine Mutter aus dem Krankenhaus entlassen worden sei. Dann fragte sie mich, ob wir in den Ferien etwas vorhätten, und ich erzählte ihr, dass wir nach Paris fliegen wollten.
»Ist sie schon wieder so gesund?« Sie hörte sich fast etwas enttäuscht an.
»Ja, sie hat ganz viel Mut und Zuversicht«, sagte ich.
Einer der Jungs aus der Klasse fragte mich nach dem Ferrari.
»Bist du dir sicher, dass es ein Ferrari ist, den ihr mieten wollt?«
Ich nickte.
»Ich habe im Internet nachgeguckt. Die einzigen Ferraris, die man in Frankreich mieten kann, sind sauteuer. Und dann muss man vorher einen Kurs machen, bevor man die fahren darf. So einen Kurs auf einer Rennbahn. Auf der Chatseite haben irgendwelche Norweger angefragt, die sich in den Ferien in Frankreich einen Ferrari mieten wollten. Ich kann dir die Seite raussuchen, wenn du willst.«
»Nein danke«, sagte ich, »das ist nicht nötig.«
»Dann wollt ihr doch kein Auto mieten?«
»Doch, natürlich. Mein Onkel, der kennt da jemanden. Einen von seiner Arbeit, der wieder einen kennt, der das für uns regeln wird.«
»Mein Papa hatte auch mal ein Cabrio«, erklärte das Geburtstagskind.
Sie rief ihrem Vater zu. »Stimmt doch, du hattest doch mal ein Cabrio?«, fragte sie und erzählte von dem Ferrari, den wir mieten wollten.
»Wow«, sagte er, »na, das ist ja ein starkes Stück. Weißt du, was für ein Ferrari das ist?«
»Nein«, sagte ich, »nur, dass er rot ist. Und ein Cabriolet.«
»Erzähl mal von deinem Cabrio«, sagte sie.
Er lachte kurz auf.
»Na, der war nicht so exklusiv. Das war ein englischer Wagen, ein Triumph von 1973. Den hatte ich während meines Studiums.
Die meiste Zeit habe ich damit verbracht, daran herumzuschrauben. Aber das hat Spaß gemacht. Wir haben uns auch getroffen und so habe ich andere kennengelernt, die auch so ein Auto hatten.
»Warum haben Sie ihn verkauft?«, fragte ich.
»So ein Auto hat nur Platz für zwei Personen. Mit Kindern und Hund bringt das nichts. Deshalb haben wir ihn verkauft und stattdessen einen Kombi gekauft. Das wird spannend, von eurer Ferrari-Fahrt zu hören.«
»Du musst Fotos machen«, sagte das Geburtstagskind.
»Viele Fotos«, stimmte ein anderer zu.
I
n der Nacht blieb ich noch lange wach, mit dem Laptop auf dem Schoß. Dass es so schwierig sein sollte, ein Cabrio zu finden. Jetzt hatte ich das Geld besorgt, wir hatten Flugtickets gekauft und Hotelzimmer reserviert. Alles, damit Mamas Traum in Erfüllung gehen konnte. Für ihren Lebenswillen. Und dann war es unmöglich, einen Wagen zu finden, den man für ein paar Tage mieten konnte. Oder auch nur für ein paar Stunden.
Mir fiel die Mail ein, die ich an die Lokalzeitung geschickt hatte, in der ich gefragt hatte, ob sie nicht Geld sammeln könnten. Vielleicht sollte ich eine E-Mail an eine Zeitung in Paris schicken und fragen, ob die uns nicht ein Auto besorgen konnten. Ich versuchte Zeitungen in Paris im Internet zu finden, aber die einzige, die ich fand, war eine der größten Zeitungen der Welt. Die würde ja wohl kaum über Mama und ihre Krankheit schreiben wollen.
Ich fand eine Adresse, wo Cabrios verkauft wurden. Es gibt viele verschiedene Marken. Von den meisten hatte ich noch nie etwas gehört. Pagani, zum Beispiel, oder Noble. Von anderen hatte ich schon mal gehört und ein paar hatte ich auch schon gesehen. Aber allen war gemeinsam, dass sie unglaublich teuer waren. Und deshalb war es wohl auch schweineteuer, sie zu mieten.
Ich dachte wieder an Lucy Jordan aus dem Lied. Sie hatte es nie geschafft, in einem Cabrio durch Paris zu fahren. Da wurde es mir klar: Nicht Paris war das Problem, sondern das Cabrio. Nach Paris konnte man immer irgendwie kommen, das Auto, das war das Schwierige. Ich hatte schon viel in Gang gesetzt. Zuerst hatte ich die Leute an Mamas Arbeitsplatz dazu gebracht, das Geld für die Reise zu geben, dann hatte ich Mama und die Tante überredet, zu fahren. Und
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