Luderplatz: Roman (German Edition)
ich ihm so nah war.
Er konnte das Weiße in den Augen erkennen, obwohl es dunkel war. Sie waren so weit aufgerissen, dass der Mond sich darin spiegelte. Dann war es vorbei. Ganz schnell, ganz leise, fast beiläufig. Der Tod hatte es eilig gehabt. Jetzt hatte er selbst es eilig. Weg hier, nur weg hier. Er schaute sich um. Er sah Menschen, sie sahen ihn nicht. Der einzige Zeuge war der Mond. Was für ein Glück! Was für ein Unglück!
3. Kapitel
Viktoria gähnte. Sie hatte eindeutig eine Stunde zu wenig geschlafen und ein Glas Rotwein zu viel getrunken. Als sie Mario erblickte, lächelte sie mild. Er hatte eindeutig drei Stunden zu wenig geschlafen und drei Gläser Whiskey zu viel getrunken. Blass nickte er ihr zu. Sie winkte ihn zu ihrem Schreibtisch und blätterte in ihrem Notizblock. »Da. Ich habe sie.«
Mario schaute neugierig auf die Buchstaben, die sie dreimal umkringelt hatte. »Das kann ja keine Sau entziffern!«
Viktoria las vor: » Nana Oppenkamp, Hansaring 28, Münster.« Darunter stand eine Telefonnummer.
»Und?« Mario tippte mit einem Zeigefinger auf die Nummer. Sein Gesicht hatte wieder ein bisschen Farbe angenommen. »War sie zu Hause?«
»Nein. Sie wohnt in einer WG, und dort wussten sie nur, dass sie ein Praktikum in Berlin macht. Viel mehr konnte ich nicht herausfinden, ich wollte nicht so auffällig nachfragen.«
Er nickte und starrte auf die Adresse. »Münster. Das ist doch gleich neben unserem geliebten Westbevern, oder?«
Viktoria grinste breit.
»Fahren wir hin?«
»Wohin?«
»Nach Münster!«
»Du bist bescheuert.«
»Oh, yes. Aber du noch viel mehr.«
Mario musste ihr recht geben.
»Muss das wirklich sein?«
Viktoria verdrehte genervt die Augen.
Mario war beeindruckt von so viel Schauspielkunst.
»Ja, es muss …«
Guido Willmers Augen wurden zu kleinen Schlitzen. »Und Sie sollten dieses Mal nicht so ’ ne Scheiße bauen wie beim letzten Mal in Westfalen.« Viktoria erschrak – scheinbar, senkte die Augen und nickte ergeben.
Ein bisschen zu dick aufgetragen, fand Mario, doch der Chef hatte es geschluckt. Und Viktorias Plan war aufgegangen.
Drei Tage lang hatte sie gewühlt, recherchiert und gesucht, um eine Geschichte auszugraben, die gut genug war, damit der Chef sie dafür nach Münster schicken würde. Der Terminkalender der Stadt gab nicht viel her. Außer einem Urologenkongress, einem Skatertreffen und einer Kleintiermesse fand sie nichts. Die ungeklärten Verbrechen, auf die sie stieß, waren einfach zu unspektakulär, die aufgeklärten Morde zu unblutig. Ausgerechnet in Berlin-Zehlendorf fand sie schließlich, wonach sie suchte. Und hätte doch beinahe das entscheidende Detail verpasst.
Denn wenn Kiara vom Klatsch, die natürlich eine eigene Klatsch-Kiara-Marke hatte, in der Themenkonferenz von all den sogenannten News aus der angeblich so interessanten Berliner Promiszene berichtete, schaltete sie meistens ab. Zufällig hörte sie dieses Mal hin, als ihre viel zu stark geschminkte, viel zu hübsche, viel zu dünne und viel zu überdrehte Kollegin eine wirklich skurrile Geschichte präsentierte. Wahrscheinlich war sie irritiert, weil Kiara an diesem Morgen einen Pickel auf ihrem Kinn hatte, der sie offensichtlich so unsicher machte, dass sie viel leiser sprach als sonst. Oder war sie erkältet? Auf jeden Fall lauschte Viktoria der leiseren Stimme und hörte, dass den Roses Schlimmes widerfahren war. Den Roses. Rita und Rudolfo Rose waren eine Berliner Institution. Mitte der Siebzigerjahre hatten die beiden Schauspieler geheiratet und waren seitdem, so die Legende, die auch regelmäßig im Berliner Express verbreitet wurde, nicht für einen einzigen Tag getrennt gewesen. Viktoria hatte diese Geschichte nie geglaubt, doch wie viele Berliner war sie mit den Roses groß geworden. Sie kannte die alten Fotos der beiden, auf denen sie aussahen wie echte Hollywoodstars. Sie kannte die Familienserien, in denen sie in den Achtziger-und Neunzigerjahren mitgespielt hatten. Kein großes Fest, keine Feier, keine Gala, auf der man die beiden nicht Arm in Arm, fein gewandet und lächelnd sehen und später in Gala , Bunte oder im Express über sie und ihr dauerhaftes Liebesglück lesen konnte. Seine überwundene Lungenentzündung, ihre Knieoperation. Die Berliner litten mit ihnen, und sie liebten ihre Roses. Und jetzt war ihr Kater Tiger vergiftet worden. Behauptete Rudolfo Rose. Und – als wäre das nicht schlimm genug – sei Rita so unglücklich gestürzt, dass ihr
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