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Luderplatz: Roman (German Edition)

Luderplatz: Roman (German Edition)

Titel: Luderplatz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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räumte das Tablett mit dem Käsebrot ab und schüttelte in gespielter Entrüstung den Kopf.
    »Ach«, erwiderte Isa matt. »Ein paar Kilo weniger werden mich nicht umbringen.« Es stimmte. Sie war ein wenig auseinandergegangen. Wiliam war ein grandioser Koch und ein Genießer durch und durch. Und irgendwie hatte er sie auf den Geschmack gebracht. Essen, sonst für sie eine Nebensächlichkeit, war zum gemeinsamen Hobby geworden. Doch während er jede Mousse und jedes Steak in Muskeln umzuwandeln schien, wurde sie moppelig. Glücklicherweise stand ihr die Rundlichkeit. Sie wirkte dadurch fröhlich und gemütlich. Ein Trugschluss, den sie nicht aufklären wollte. Sie war selten fröhlich, und gemütlich war sie noch nie gewesen. Unruhig. Unglücklich. Das hätte gepasst. Doch das wollte niemand sehen – und sie wollte nicht, dass es jemand sah. Wieso sollten andere Menschen damit belastet werden, was sie belastete? Sie hatte schon genug angerichtet. Für immer und ewig genug.
    Viktoria schaute auf ihre Armbanduhr. Sie würde zu spät bei ihrer Mutter sein. Sie waren auf ein Glas Rotwein verabredet, gegen 21 Uhr. Es war bereits kurz nach neun, doch das hier konnte jetzt nicht warten. Sie schlug die Autotür zu, warf einen kurzen Blick auf Mario, der nur noch körperlich anwesend schien, und zog ihr Handy aus der Tasche. Mama musste sich etwas gedulden. Auch wenn das ganz und gar nicht die Stärke von Marie Latell war. Zum Glück hatten sie sich in ihrer Wohnung in Schöneberg verabredet. Und zum Glück war ihre Mutter nicht mehr ganz so kompliziert und launisch, wie sie es Viktorias seltsame Kindheit über und auch später noch gewesen war. Sie hatte sich gefasst, die depressiven Verstimmungen blieben – meistens jedenfalls – aus. Doch die Ungeduld, die war ihr geblieben. Egal. Viktoria tippte Nana Oppenkamps Nummer in ihr Telefon. Manuel hatte gesagt, die clevere und schöne Praktikantin käme aus Westfalen. Westfalen! Während Viktoria in ihr Telefon lauschte, musste sie an dieses kleine westfälische Nest denken, in das sie vor ein paar Monaten mit Mario gereist war. In Westbevern war eine brave Hausfrau beinahe Amok gelaufen, weil sie beim Schützenfest nicht mitschießen durfte. Außerdem führte die Spur des Berliner Müggelseemörders in die Provinz. Neben einer Mädchenleiche hatte ein seltsamer Abschiedsbrief gelegen. Und auf dem Papier war ein noch seltsameres Wasserzeichen zu erkennen, eine Ratte, deren Spur direkt ins kleine westfälische Dorf führte. Hätte der Chefredakteur geahnt, was Viktoria in den Tagen auf dem Lande noch erfahren hatte, er wäre vielleicht nicht so enttäuscht darüber gewesen, dass sein Team mit nichts außer Entschuldigungen zurückgekommen war. Doch Viktoria wollte ihm nicht erzählen, was sie selbst kaum glauben konnte. Sie war in Westbevern auf die Spuren ihres Vaters gestoßen, der seit Jahren tot war und von dem ihre Mutter dachte, er hätte sich ihretwegen umgebracht. Doch es war kein Selbstmord gewesen, den Mutter und Tochter über drei Jahrzehnte verdrängt hatten, sondern ein tragischer Unfall in seinem Haus in Westbevern. Seitdem Marie Latell von ihren Schuldgefühlen befreit war, war es besser geworden mit ihrer Depression, mit ihrer Gereiztheit, mit ihrer Verschlossenheit und den ewigen Vorwürfen Viktoria gegenüber.
    Viktoria drückte auf die rote Telefonhörertaste auf ihrem Handy und schüttelte den Kopf. »Aus«, sagte sie in Marios Richtung.
    Er seufzte. »War ja klar.«
    Viktoria legte ihrem Kollegen kurz die Hand auf die Schulter. »Hey, pass auf. Morgen recherchiere ich weiter. Ich finde schon raus, wo die Dame steckt, und ich bin mir sicher, dass es ihr gut geht.« Dann startete sie den Motor. Mario hatte nicht weit entfernt sein eigenes Fotostudio. Er wolle noch etwas arbeiten, sagte er. Doch Viktoria glaubte, dass er nicht in seiner Wohnung schlafen wollte, um nicht an die letzte Nacht erinnert zu werden. Sie fuhr ihn wortlos zum Atelier und schaute ihm mitleidig nach, wie er mit hängenden Schultern Richtung Eingang schlurfte. Dann gab sie Gas. Nicht, weil sie ihre Mutter nicht enttäuschen oder ihre Vorwürfe nicht hören wollte. Nein, sie freute sich einfach auf den Abend mit ihr. Und das war das eigentliche Wunder von Westbevern. Sie musste lächeln. Und an Kai Westmark denken. Den hatte sie auf ihrer Reise in die Provinz und ihre Vergangenheit kennengelernt, und auch er war ein Wunder. Schade, dass er so weit weg ist, dachte sie. Und schön, dass

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