Luderplatz: Roman (German Edition)
Er schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Ja, er hatte recht. Viktoria hatte es geschickt eingefädelt. Und dann noch dieser kleine Nebensatz, den sie ganz beiläufig eingeworfen hatte. »Ach, der Metzger, der kommt doch eh bald nach Berlin. Er soll hier die Rechtsmedizin auf Vordermann bringen.«
»Er kommt nach Berlin?« Chefredakteur Willmers hatte angebissen. Viktoria hatte gelangweilt genickt. So, als sei das keine große Sache. »Verdammt noch mal, Frau Latell …« Willmers konnte seine Stimme kaum zügeln. »Wo ist denn Ihr Reporterinstinkt geblieben? Sie fahren da jetzt hin und machen sich an ihn ran. Erzählen Sie ihm, Sie wollten seine Arbeit porträtieren oder so, und finden Sie raus, ob der Köter vergiftet …«
»Katze …« Viktoria schaute nur kurz auf.
Willmers wurde noch ungehaltener. »Ja, verdammt. Ob die Katze vergiftet wurde und ob vielleicht Rita Rose dahintersteckt, und dann machen Sie ihn schon mal schön geschmeidig, damit er – wenn er denn in Berlin ist – immer mit uns spricht, wenn es etwas zu erzählen gibt.«
Viktoria seufzte genervt.
» INFORMANTENPFLEGE , Viktoria! Schon mal was davon gehört?«
Viktoria nickte, und scheinbar widerwillig presste sie ein lang gezogenes »Okaaaay« über die Lippen. Am liebsten hätte sie »Yes« gerufen, doch sie konnte sich gerade noch beherrschen.
Und nun saßen sie – vier Tage, nachdem Mario sein blutiges Badezimmer gewischt hatte – in seinem sauberen gelben Fiat Barcetta und rasten über die Avus.
Nach der ersten Euphorie darüber, dass sie auf Verlagskosten ins Münsterland reisen durften, waren sie wieder ruhiger geworden. Mario, weil er immer noch kein Lebenszeichen von Nana bekommen hatte und ihr Telefon still geblieben war. Viktoria, weil sie an ihre letzte Reise in die westfälische Provinz denken musste.
Nicht nur, dass sie in Westbevern herausgefunden hatte, dass ihre Mutter einst im Gasthof als Kellnerin gearbeitet und dort Viktorias Vater kennengelernt hatte. Nicht nur, dass sie erfahren hatte, dass westfälisches Blut in ihren Adern floss und dass ihr Vater sie über alles geliebt hatte, aber seine Frau nicht verlassen konnte. Nicht nur, dass sie endlich verstand, warum ihre Mutter war, wie sie war. Wegen der Schuldgefühle. Der berechtigten und der unberechtigten. Weil sie dem Vater das Kind nehmen wollte und dachte, er hätte sich deshalb getötet.
Nein, es war weitaus mehr als das! Sie war berührt. Von diesem unscheinbaren Dorf, von diesen unaufgeregten Menschen, von diesem Leben dort, von dem sie nicht wusste, ob es besser war als ihres jetzt. Sie fuhren an Magdeburg vorbei, und Viktoria betrachtete Mario von der Seite.
»Die werden Augen machen, wenn du in Westbevern auftauchst. Immerhin bist du der amtierende Schützenkönig.«
Mario nickte. »O ja. Ich habe den Vogel abgeschossen. Aber sie haben einen Ersatzkönig, habe ich gehört.«
»Was? Das wusste ich ja gar nicht, Euer Majestät. Wer könnte Euch denn ersetzen«, feixte Viktoria.
»Ludger ist mein Stellvertreter.« Mario blieb ganz ernst. »Und das ist auch gut so.«
Sie lachten. Dann waren sie wieder still. Viktoria freute sich. Auf Westbevern.
Auf Kai.
Sie hatten sich seit dem Sommer nicht mehr gesehen, dafür aber den Kontakt nicht abreißen lassen. Eine SMS hier, eine Mail da. Sollte sie ihn jetzt anrufen? Ihm sagen, dass sie schon hinter Magdeburg waren, dass sie in wenigen Stunden bei ihm sein könnte? Viktoria hielt ihr Handy in der Hand.
»Was ist los, Victory? Akku leer?« Mario schaute kurz auf ihr Telefon.
Sie schüttelte den Kopf. »Nö. Nichts. Alles klar.« Dabei war gar nichts klar. Denn auch wenn sie sich kurze Mitteilungen schrieben – gesprochen hatten sie nicht mehr miteinander, seitdem sie nach dem Schützenfest aus Westbevern abgereist waren. Er rief nicht an, also rief sie auch nicht an. Und eigentlich waren sie ja auch nicht auf dem Weg zu IHM . Es galt, Metzger um den Finger zu wickeln und Nana Oppenkamp zu finden. Sie würde wahrscheinlich gar keine Zeit für Kai haben.
Viktoria tippte eine der Hotelnummern ein, die sie sich auf einen ihrer zerknickten Blöcke gekritzelt hatte. Sie und Mario brauchten noch eine Unterkunft in Münster. Bisher war alles ausgebucht – der Urologenkongress! Schlimm fand sie das nicht. Denn eigentlich wollte sie ohnehin lieber zum Gasthaus König. Dort hatten sie und der Fotograf auch beim letzten Mal gewohnt. Wirt Harry und die rosige Wirtin Rosa würden sicher noch ein Plätzchen
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