Luderplatz: Roman (German Edition)
für sie haben. Das dritte Hotel in Münster sagte ab, und Viktorias Laune stieg.
»Aber ja. Natürlich erinnere ich mich!« Harry freute sich über ihren Anruf. Dann klang er aber ganz traurig. »Zwei Einzelzimmer?«
»Ja, genau.«
»Tut mir leid. Wir haben nur noch ein Doppelzimmer frei – im Moment ist Fahrradhochsaison. Goldener Oktober, Sie wissen schon …«
Viktoria wusste es nicht. Goldener Oktober, Fahrradhochsaison, was für ein Mist! Sie schielte zu Mario rüber. »Doppelzimmer okay?«, fragte sie leise.
Mario nickte gedankenverloren und machte zum Glück keine dämliche Bemerkung.
Also sagte sie: »Ja. Nehmen wir«, und starrte immer noch auf ihr Handy. Sollte sie Kai jetzt anrufen? Sie ließ es bleiben.
Hätte sie es an seinen Augen erkennen müssen? An seinem Gang? Seinen Händen? Seiner Stimme? Nur seine schwarze Seele hätte ihn verraten – und die konnte niemand sehen. Sie würde sterben – daran konnte sie nichts mehr ändern, das wusste sie mit einer Gewissheit, die sie noch nie zuvor über etwas in ihrem Leben gehabt hatte. Nicht, als sie sich ihm hingab, nicht, als sie beschloss, ihn zu lieben. Nur ihn. Er war zu stark für sie. Und zu kalt. Wie sollte sie sich auch wehren? Er war so nett gewesen. Das Böse sah sie nicht. Sie war naiv. Wie man sich täuschen kann, dachte sie, als die dünne Nadel in ihr kleines Muttermal neben dem Bauchnabel stach. Wie man sich täuschen kann …
4. Kapitel
Wiliam hatte ihr gesagt, was sich unter dem roten Geschenkpapier verbarg. Es war also keine Überraschung für sie. Doch mit der Farbe hatte sie nicht gerechnet. Das Papier raschelte, und ein kleines hellgrün glänzendes Netbook kam zum Vorschein. Isa liebte Grün. Deshalb bestand sie auch darauf, dass ihr Junge ein grünes und kein hellblaues Zimmer beziehen sollte. Ihr Junge, ihr Baby. Sie versuchte, nicht an die Ultraschallbilder und die besorgten Blicke der Ärzte zu denken. Sie krabbelte aus dem Bett und kroch darunter, um das Netzteil in eine Steckdose zu stecken. Dann fuhr sie den Minicomputer hoch. Es sollte ihre Verbindung zu ihm sein, zu Wiliam, zu den Freunden, die sich nicht jeden Tag auf den Weg nach Münster machen konnten. Vielleicht auch zu ihren Eltern. Doch damit würde sie noch warten. Sie sollten sich keine Sorgen machen. Nicht noch mehr.
Wiliam hatte alles so eingerichtet, dass die wichtigen Dinge sofort zu finden waren. Internet, E-Mail, ein paar Spiele – viel mehr brauchte Isa nicht. Textverarbeitungs-und Buchführungsprogramme hatte sie im Büro genug, die wollte sie nach Feierabend nicht mehr sehen. Sie ging ins Internet, klickte weiter auf den Facebook-Link und las die Pinnwandeinträge, Postings und Nachrichten für sie. Dann hatte sie eine Idee. Sie tippte einen Namen ein. Sieh mal einer an, dachte sie. Er ist auch hier.
Frank Metzger begann seinen Morgen im Vierfüßlerstand. Er hob seinen linken Arm und sein rechtes Bein und balancierte auf dem weißen Teppich. Gut, dass Sabine heute die Kinder hatte. Klara und Mika missverstanden seine Rückengymnastik gerne als Aufforderung zum wilden Toben und hängten sich an seinen Arm, kitzelten seine Füße oder spielten Hoppehoppe-Reiter. Er hatte heute Spätschicht, und es sah so aus, als stünde ihm kein stressiger Tag bevor. Um 15 Uhr war der Termin mit der Berliner Reporterin. Er legte sich auf den Rücken und schob sein Becken in die Luft. Seine Wirbel knackten. Dann senkte er sein Becken wieder und ließ seine Beine hin und her pendeln. Gut, dass mich keiner sieht, dachte Frank Metzger. Anschließend machte er Liegestütze, eine Menge. Schade, dass mich keiner sieht, dachte er jetzt und musste über sich selbst lächeln. Frank Metzger war nicht bescheuert. Er wusste, dass er gut aussah, und er wusste damit umzugehen. Wenn diese nagenden Rückenschmerzen nicht wären, würde er sich fühlen wie ein Neunundzwanzigjähriger. Vor allem seit der Trennung von Sabine hatte er das Gefühl, eher jünger als älter zu werden.
Er machte Sit-ups. Fünfzig. Frank Metzger klopfte sich zufrieden auf seinen harten Bauch. Er hatte noch Zeit. Duschen, rasieren, Schaumfestiger in die Haare streichen, nach hinten föhnen, danach ein paar Strähnen nach vorn zupfen. Sein Schönheitsprogramm war schnell und effektiv. Das leichte Grau an seinen Schläfen störte ihn nicht weiter. Denn auch wenn er sich gut gefiel, war es ihm eigentlich gar nicht so wichtig. Seine Arbeit und seine Kinder, das waren die Dinge, die zählten. Genau in
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