Luderplatz: Roman (German Edition)
war nicht wirklich dreckig, aber auch nicht sauber. Viktorias Schritte hallten im großen Treppenhaus, sie bog um die erste Ecke und sah die geöffnete Tür. Eine junge Frau mit bunter Strickmütze und halblangem Parka wollte gerade gehen. »Oh, ach. Ich dachte, das wäre meine Kommilitonin. Willst du zu Lukas?«
Viktoria nickte.
Das Parkamädchen rief in den Wohnungsflur: »Lukas, für dich«, dann schulterte sie eine Ledertasche und eilte an Viktoria vorbei. Eine dunkelbraune Haarsträhne blitzte unter ihrer bunten Strickmütze hervor.
»Tschüss, Katja!«, ertönte eine Stimme von drinnen.
Nicht blond, falscher Name, anderes Gesicht, schoss es Viktoria durch den Kopf. Kurz darauf erschien ein Mann im Türrahmen. Kurze Haare, schwarze Brille, krummer Rücken, blass.
»Hallo?« Er betrachtete Viktoria neugierig und hustete verlegen.
Sie schritt gleich auf ihn zu und schaute ihm direkt in die Augen. »Hi, ich will eigentlich zu Nana. Ist sie da?«
Er schwieg immer noch.
Viktoria strahlte ihn an.
Etwas zögerlich sagte er schließlich: »Nein. Eigentlich nicht.«
Viktoria ließ sich nichts anmerken. »Wann kommt sie denn wieder? Ich muss ihr dringend etwas geben.«
»Sie ist in Berlin. Macht ’ n Praktikum.«
»Ach ja«, Viktoria schlug sich übertrieben auf die Stirn und verdrehte die Augen. »So ein Mist. Hatte ich total vergessen. Wie lange bleibt sie denn dort noch?«
»Keine Ahnung. Vier Wochen oder so.«
»Und wie geht es ihr?«
Der Typ musterte Viktoria misstrauisch.
Sie musste Vertrauen aufbauen, so tun, als kenne sie Nana. »Sind die Kollegen von Schön und Schlau auch nett zu ihr?« Vielleicht würde diese Insiderinformation ihn überzeugen.
Er zuckte mit den Schultern. »Glaub schon.«
Viktoria spürte, dass er nicht mehr sagen würde. »Irgendwie geht ihr Handy nicht, oder?«, versuchte sie es noch einmal. Doch er sagte wieder nichts.
Schließlich fiel ihr Blick auf ein Pappschild an der Badezimmertür. Es war ein Halbkreis, auf dem die Namen Lukas, Katja und Nana in je einem Drittelteilchen standen. Ein Papierpfeil zeigte an, wer gerade Putzdienst hatte. Viktoria lächelte noch einmal ihr schönstes Lächeln. »Oh, drückt sich Madame etwa vorm Saubermachen?«
Lukas verstand nicht sofort, dann folgte er Viktorias Blick, ging auf das Schild zu, stellte den Pfeil von Nana auf seinen eigenen Namen und sagte: »So, ich würde dann gerne weiterlernen.«
Unmissverständlicher war Viktoria schon lange nicht mehr rausgeschmissen worden.
Mario empfing sie auf dem Bürgersteig mit einem breiten Grinsen.
Viktoria schüttelte den Kopf und hob entschuldigend die Schultern. »Sorry. Nix Neues.«
»Oh, doch!«, erwiderte Mario großspurig und verschränkte die Arme vor der Brust. »Nana Oppenkamp ist quicklebendig.«
»Hast du sie gerade gesehen, oder was?« Viktoria sah sich um, als könne sie sie auch noch erblicken.
»Ne, reine Recherche.«
Viktoria baute sich vor Mario auf und schaute ihn an. »Nun sag schon. Was weißt du, woher weißt du es, und warum grinst du so dämlich?« Sie musste lächeln.
»Also …« Mario zog das Wort extra in die Länge, und Viktoria boxte ihm freundschaftlich auf den Oberarm. »Gerade kam hier so ein Mädel runtergerauscht …«
»Die mit dem Parka und der Mütze?«
»Genau. Ich hab gedacht, vielleicht ist sie ja eine Nachbarin oder so. Doch dann stellte sich heraus …«
»Sie ist die Mitbewohnerin.« Viktoria war gespannt, was noch kommen würde.
»Sie hat mir erzählt, dass Nana in Berlin sei …«
Das hat mir der Streber aus ihrer WG auch erzählt, dachte Viktoria, schwieg aber.
»Nachdem sie vorgestern noch hier in Münster war.«
Jetzt wurde die Sache wirklich interessant.
»Sie war hier? Lebendig? Unverletzt?«
Mario nickte triumphierend. »Nur traurig war sie. Sie war nämlich zum Sechswochenseelenamt ihres Vaters nach Hause gekommen.«
»Ihr Vater ist gestorben?«
»Genau vor sechs Wochen. Und vorgestern war also dieses Sechswochendings, wo sie alle noch mal gemeinsam in der Kirche beten.«
»Und wieso geht sie nicht ans Handy?«
Mario zuckte mit den Schultern. »So genau habe ich nicht nachgefragt, ich wollte ja schließlich keine schlafenden Hunde wecken. Ich weiß aber, dass ihr Vater in einem Vorort von Münster wohnte. In Handorf. Nana hätte dort auch in ihrem Elternhaus nach dem Rechten gesehen, hat mir das Mädchen mit dem Parka erzählt. Vielleicht wollte sie einfach ihre Ruhe haben.«
»Du meinst, ungestört
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