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Luderplatz: Roman (German Edition)

Luderplatz: Roman (German Edition)

Titel: Luderplatz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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erkennen. Schau, Rosa, die Wirtin hat dir gerade zugenickt.«
    »Hab ich nicht gesehen.«
    »Ich aber.« Mario war immer noch gut gelaunt. Plötzlich, wie auf ein unsichtbares Kommando, erhoben sich die meisten Männer von den Barhockern und gingen zurück in den Saal. Kurz darauf ertönte »Hoch auf dem gelben Wagen«, und Harry stand plötzlich neben den Berlinern.
    »Na, das Lied passt ja. Immer noch mit dem gelben Barcetta unterwegs?«, fragte er. Dann deutete er auf die inzwischen wieder geschlossene Tür zum Saal. »Der Männergesangverein probt heute, deshalb ist hier so viel los. Möchten Sie was essen?«
    Mario nickte, Viktoria schüttelte den Kopf. Sie hatte sich die Begrüßung irgendwie anders vorgestellt. In Berlin hätte sie Harry auf die Wange geküsst oder wenigstens die Hand gegeben. Aber hier reichte offensichtlich ein Nicken. Eines, bei dem man seinem Gegenüber nicht mal richtig in die Augen schaute.
    »Was ist los, Victory? Schlecht drauf?«, fragte Mario.
    Viktoria verdrehte die Augen. »Du hast ja genug gute Laune, die reicht für zwei«, erwiderte sie und ließ ihren Blick Richtung Eingang schweifen. Kai Westmark war noch nicht da. Er hatte noch nicht einmal auf ihre SMS geantwortet. Aber sie wusste, dass er als Landarzt viel zu tun hatte. Vielleicht hatte er ihre Nachricht auch noch nicht gelesen und wusste gar nicht, dass sie da war. Oder besser, hier war.
    Mario pikste ein paar Pommes auf seine Gabel und hielt sie ihr unter die Nase. Sie schüttelte den Kopf und blätterte demonstrativ in den Zetteln, die ihr der Rechtsmediziner mitleidig gereicht hatte, als sie nichts zu schreiben gefunden hatte. Der saubere Dr. Metzger hatte natürlich saubere Zettel, und er hatte etwas irritiert geschaut, als er das Knirschen von Viktorias dreckigem Kugelschreiber hörte. Ansonsten lief es gut, denn Dr. Metzger sprach äußerst gerne über seinen Beruf und seine Karriere, die ihn schon in wenigen Wochen nach Berlin führen würde. Institutsleiter bei der Berliner Rechtsmedizin sei ein Posten, von dem er schon immer geträumt habe, erzählte er in seinem kleinen, aufgeräumten Büro. Viktoria schrieb nicht mit. Erst als er in einem Nebensatz sagte, dass er Brandleichen liebe, flog ihr Stift über das Papier. Als sie ihn fragte, ob gerade zufällig eine im Institut sei, zog er anerkennend die Augenbrauen hoch.
    »Würden Sie sie sehen wollen?«, fragte er.
    »Klar«, antwortete Viktoria und klang dabei wirklich überzeugend.
    »Vielleicht kommt morgen wieder was rein.« Er grinste.
    Das war der Wendepunkt. Viktoria spürte, dass er sie jetzt mochte. Gut für sie. Und damit dies auch so blieb, befragte sie ihn noch nicht zu seinem berühmten Berliner Cousin Rudolfo Rose und dessen toter Katze Tiger. Sie ließ ihn jedes Detail seiner Arbeit erklären, riss die Augen staunend auf, wenn er ihr von der Lösung kniffeliger Fälle berichtete, und lachte schallend, wenn er schwarzhumorige Rechtsmedizinerwitze erzählte. Als Mario die ersten Porträts machte, schwärmte sie davon, wie fotogen er sei, und wagte es sogar, einen kleinen Flirt zu beginnen, während er einen Totenschädel in die Kamera hielt. »Ich habe mir Rechtsmediziner irgendwie hässlicher vorgestellt.« Als sie sich mit einem kräftigen und etwas zu langen Händedruck verabschiedeten und er ihr dabei offen in die Augen schaute, wusste sie, dass sie am nächsten Tag alles erfahren würde, was sie wissen wollte. »Um acht Uhr sind wir da«, rief sie ihm noch zu.
    Und er rief zurück. »Ich freu mich.«
    Viktoria war sich sicher, dass er das auch so meinte.
    Sie freute sich auch. Sie hatte ihren Job mal wieder gut gemacht.
    Pling! Ihr Handy! Sie riss sich zusammen, um nicht zu schnell danach zu greifen, und spürte ihren Puls. Na endlich, dachte sie, schaute auf das Display und kapierte gar nichts. N5201.257/E745.874 stand dort. Im gleichen Moment betrat Kai Westmark das Gasthaus König und schaute sich um. Er sah immer noch aus wie eine sehr gute Zwei.
    Als Marios Handy um 6.45 Uhr Alarm schlug, fühlte sich Viktoria wie in Beton gegossen. Sie würde sich keinen Millimeter bewegen können, sie war wie gelähmt, ihr war kalt, ihr Kopf schien in einer Schraubzwinge zu klemmen, die irgendeine böse Macht gerade immer fester zog, und in ihrem Magen vermischte ein unsichtbarer Bauarbeiter gerade Zement mit Wasser. Ganz langsam tastete sie nach ihrer Decke. Doch die hatte Mario geraubt, der jetzt unter zwei Lagen feinsten Daunen schlummerte. » MARIO !«

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