Luderplatz: Roman (German Edition)
links hinter der Tannenschonung begann. »Mein Vater hat mich gebeten, dort kurz nach dem Rechten zu schauen, wenn ich schon mal in Westbevern bin«, sagte sie.
Kai zögerte.
»Hier treffen sich manchmal ein paar trinkwütige Teenager, und Papa will nicht, dass hier – in seinem Revier – eine Müllkippe entsteht.« Sie ging voran, und Kai folgte ihr langsam. Sie hüpfte – beinahe fröhlich – am Feldrand entlang zu dem kleinen Holzverschlag, der den Jägern als Ansitz bei der nächtlichen Fuchsjagd diente.
Kai hatte die Hütte nie wirklich wahrgenommen, obwohl sie auf seiner Joggingstrecke lag. Gute Tarnung, hatte er gedacht und sich gewundert, dass Nana nicht wiederkam. Vielleicht sollte er ihr mit dem Müll helfen. Er kam näher, rief ihren Namen, öffnete die Tür und schlug sie sofort wieder zu. Drinnen lag Nana. Nackt. Doch er hatte ihr Brüste, ihre Scham, ihre Beine, nichts davon gesehen. Nur ihre Augen. Die ihn angeschaut hatten, voller Erwartung erst. Und dann voller Wut, als sie erkannte, dass er nicht bleiben würde.
Er hörte ihre Stimme, als er mit schnellem Schritt zurück zum Feldweg ging.
»Kai! Kai! Kai!«
Sein Name, immer wieder sein Name. Sie kreischte ihn. Er schrillte in seinen Ohren. Er ging weiter, drehte sich nicht um, nickte dem Kombifahrer zu, erkannte nicht, dass es der Nachbar seiner Eltern war, der neugierig die Scheibe heruntergedreht hatte. Nur weg von hier war das Einzige, was er denken konnte. Weg von ihr. Weg!
»Ich habe sie nicht angerührt, verstehst du?« Viktoria glaubte ihm.
Er rieb sich mit seinen dreckig-schwarzen Fingern die Schläfen. Gerne hätte sie ihm die Hände festgehalten, damit er sich nicht sein ganzes Gesicht mit Öl verschmierte. Doch sie hielt ihre Bierflasche. Ganz fest.
Kai war außer sich, sein Puls raste, und mit großen Schritten trug er seine Wut in den Gasthof. Zum Glück fragte ihn keiner, warum er so schaute, wie er schaute, sondern Harry stellte ihm einfach ein Bier auf den Tresen. Das reichte zwar nicht, um ihn zu beruhigen, aber es genügte, um den Puls etwas zu verlangsamen. Es war noch nicht viel los an diesem späten Nachmittag. Irgendwo in der Ecke saßen ein paar Frauen und lästerten über ihre Männer, ein paar Jäger kamen von der Treibjagd. Er kannte die meisten vom Sehen. Karl, Tobias, Christian und noch ein paar andere. Sie hatten reichlich Beute gemacht, waren gut gelaunt. Zu gut gelaunt für Kai. Er blieb noch eine halbe Stunde, trank einen Schnaps, zahlte und ging nach Hause. Seine Mutter hatte ihn gebeten, sein altes Zimmer auszuräumen, sie wollte dort gerne renovieren, vielleicht eine Bastelstube für sich einrichten. Es würde ihm guttun, Kisten zu packen und alte Möbel auseinanderzubauen, körperlich zu arbeiten.
Und so schleppte er den Lattenrost seines Jugendbetts an die Straße, zertrümmerte das wackelige Furnierholzregal und den alten Schreibtisch mit den Preußen-Münster-Aufklebern darauf und schwitzte. Sein Rücken tat weh, seine Handflächen waren feuerrot, doch es ging ihm viel besser, als er am Abend den Sperrmüllberg vor seinem Elternhaus betrachtete.
Als sein Vater, Dr. Johannes Westmark, nach Hause kam, wischte Kai sich gerade den Schweiß von der Stirn und wunderte sich darüber, dass sein Vater ihn nicht begrüßte, ja nicht einmal anschaute. Er ging an Kai vorbei und sagte ganz leise, sodass der es kaum verstand: »Komm!«
Kai wollte etwas erwidern, doch er spürte, dass es seinem Vater ernst war, und folgte ihm. Und so standen die beiden im Arbeitszimmer.
Johannes Westmark schloss die Tür und ließ sich in seinen Schreibtischsessel sinken. Dann erst schaute er seinen Sohn an. Sehr lange. »Hast du mir etwas zu sagen? Junge!«
Kai fühlte sich augenblicklich tatsächlich wie ein Junge. Das letzte Mal, als sein Vater so mit ihm gesprochen hatte, lag zwanzig Jahre zurück, dachte er und überlegte, o b es damals um die Sache mit der gefälschten Unterschrift auf dem Entschuldigungszettel für die Schule oder um das vollgekotzte T-Shirt, das er in einer Plastiktüte in seinem Nachtschränkchen zu verstecken versucht hatte, gegangen war. Es fiel ihm nicht ein.
Sein Vater wartete.
Kai schüttelte verständnislos den Kopf.
»Nein?«
Er wartete darauf, dass sein Vater ihm mehr erklärte, doch das tat er nicht, sondern sah seinen Sohn durchdringend an. Kai fühlte sich unbehaglich, obwohl er sich keiner Schuld bewusst war. Und das Einzige, was er in diesem Moment wusste, war, dass sein Vater sich
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