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Luderplatz: Roman (German Edition)

Luderplatz: Roman (German Edition)

Titel: Luderplatz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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einmal lag sie nackt in seinem Bett, einmal hockte sie heulend auf seinem Sofa. Er aß ihr Essen nicht, er reichte ihr die Kleider, er zog sie von seiner Couch, schob sie zur Tür und schmiss sie raus. Seine Worte wurden unfreundlicher, härter, weniger mitleidsvoll.
    Sie schickte ihm Päckchen, die er nicht öffnete. Sie schickte ihm Briefe, die er nicht las. Sie ging auf alle Medizinerpartys, auf denen sie ihn vermutete, besuchte die Vorlesungen, die er besuchte, stand wieder vor seiner Tür mit den neuen Schlössern.
    Er wusste, dass er ihr in Münster immer wieder begegnen würde. Er wusste, dass er etwas tun musste. Und er tat etwas. Er wechselte die Uni und ging nach Hamburg. Das war gut für seinen beruflichen Werdegang, klar. Doch vor allem war es gut für ihn. Er war sie los.
    Dann kam eine Mail von ihr mit einem Foto im Anhang. Hätte er sie doch nie geöffnet, sondern ungelesen gelöscht.
    »Das Herz hast du mir herausgerissen, es taugt nur noch als Aas für einen räudigen Fuchs«, hatte sie ihm geschrieben.
    Darunter blickten ihn große traurige Augen an. Sie musste das Bild mit Selbstauslöser gemacht haben. Etwas unterbelichtet war es, etwas unscharf. Doch was es zeigen wollte, was sie ihm zeigen wollte, das erkannte man. Nana Oppenkamp hatte sich die Tätowierung, das Symbol ihrer großen Liebe, herausgeschnitten. In ihrer rechten Hand hielt sie noch das blutige Skalpell, über ihre nackte Brust liefen rote Bäche. In ihrer linken Hand hielt sie den Hautfetzen. Kai wurde übel.
    Der Himmel zeigte noch einmal seine künstlerische Seite und warf wunderbare Violetttöne auf seine unendliche Leinwand. Kai stand auf und holte ein zweites Bier aus dem Carport-Kühlschrank. Viktoria schaute ihm nach. Wieder ein blaues Puzzleteilchen. Nana Oppenkamps Narbe, sie war die Folge eines letzten Versuchs gewesen, den Mann, den sie für sich und für immer haben wollte, an sich zu binden. Wie groß muss ihre Liebe zu Kai gewesen sein? Und wie klein die Liebe zu sich selbst? Dass sie nicht daran glauben konnte, es ohne ihn aushalten zu können.
    »Auch noch?«
    Viktoria nickte Kai zu. Sie leerte die erste Flasche und setzte die nächste an. Sie war durstig. »Und nach dieser Aktion hast du ihr die Mails geschrieben, die ich gelesen habe?« Viktoria stellte es eher fest, als dass sie fragte.
    »Nicht alle. Einige auch erst etwas später. Denn es wurde noch schlimmer.«
    Als Kai während der Semesterferien bei seinen Eltern in Westbevern war, rief sie an. Sie klang freundlich und fröhlich, und sie bat ihn um eine Aussprache. Sie hätte viel nachgedacht, sie hätte sich Hilfe geholt und wisse nun, dass die Nummer mit dem Tattoo »echt zu hart« gewesen sei.
    Er stimmte schließlich zu, sich mit ihr zu treffen. Immerhin war fast ein halbes Jahr vergangen, in dem sie ihn in Ruhe gelassen hatte. Nach der blutigen Nachricht von ihr war nichts mehr gekommen. Vielleicht hatte sie endlich begriffen, dass sie ihr eigenes Leben führen musste.
    Sie würden einen Spaziergang nach Haus Langen machen, über alles ganz vernünftig reden, und danach würde sie wieder nach Hause fahren. »Ohne Drama«, versprach sie ihm, und er glaubte ihr.
    Er holte sie vom Bahnhof ab. Nana war die Einzige, die aus dem Zug, der von Münster nach Osnabrück fuhr, in Westbevern ausstieg. Sie war blass und sehr dünn, doch sie lächelte – fast ein bisschen schüchtern. Sie gingen am Sportplatz vorbei, und sie erzählte von ihrem Yogakurs, der ihr so gutgetan hätte in den letzten schwierigen Wochen. Sie durchquerten das Wäldchen mit der Vogelstange, und sie gestand, dass sie das Medizinstudium abgebrochen hätte. Es sei nichts für sie gewesen, sagte sie. Sie überquerten den asphaltierten Feldweg, der zur Ems führte, und liefen auf weichem Sandboden auf den Wald nahe Haus Langen zu.
    »Die Wunde ist gut verheilt«, sagte sie leise. »Das war total krank von mir, das mit der Tätowierung.«
    Kai erwiderte nichts. Er war froh, dass sie es jetzt so sah.
    »Immerhin hatte ich mich vorher örtlich betäubt und die Haut ordentlich desinfiziert.« Sie lächelte vorsichtig. »Ich hab sie übrigens auf die Fleischschubkarre von meinem Vater geworfen.«
    Nanas Vater war Jäger, das wusste Kai. Er bestückte auch den Luderplatz, dem sie sich gerade näherten. Seltsame Vorstellung, dass dort ein Stück von Nanas Haut einen Fuchs angelockt haben könnte.
    »Ich muss noch einmal dorthin – zum Unterstand.« Sie zeigte auf das Feld, das fünfzig Meter weiter

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