Luderplatz: Roman (German Edition)
lebte, und dann zeitversetzt geschickt? Warum hat sie es so kompliziert gemacht? Ich kapiere es nicht.«
Kai blieb stehen und schaute Viktoria lange an. »Ich würde dich gerne küssen.«
»Mach doch!« Sie wandte sich ihm zu. – »Autsch!«
»Du hast es so gewollt.« Er streichelte sanft über ihre verletzte Oberlippe.
»Geht schon. Mach weiter!«
»Küssen?«
»Nein, Kai Westmark. Erzähl mir endlich deine Theorie zu Nana Oppenkamp, mir wird langsam schwindelig vom vielen Denken.
»Ihre Frau hatte einen Herzinfarkt.«
»Gut, dass Sie uns so schnell gerufen haben.«
»Sie ist stabil.«
»Fahren Sie nach Hause.«
»Sie wird es schaffen.«
»Jetzt ruhen Sie sich erst mal aus.«
»Wir kümmern uns hier gut um Ihre Frau.«
»Nein, sie hat jetzt keine Schmerzen.«
»Ja, Sie können heute Nachmittag wiederkommen.«
»Ja, wir rufen Sie an, falls sich etwas ändert.«
»Nein, wir gehen davon aus, dass sie wieder gesund wird. In diesem Moment.«
Rudolfo Rose machte ihr Bett. Das hatte er noch nie gemacht. Das erste Aufschütteln am Morgen war Ritas Aufgabe. Den Rest erledigte ihre Haushälterin. Doch als er aus dem Krankenhaus zurückgekommen war, hatte er Mary weggeschickt. Er wollte alleine sein. Er wollte das Bett machen.
Der Seidenstoff fühlte sich gut an. Kühl und glatt, und die Wildblumen und das Gras der Decke leuchteten im Licht der Sonne, das jetzt durch das Fenster schien. Er strich die Decke glatt und fragte sich, wie Mary den Stoff so gerade zusammenlegen konnte.
Er nahm das Kissen, auf dem noch die Mulde war, die Rita hinterlassen hatte, und wollte es aufschütteln. Dann hielt er inne.
Auf dem weißen Laken lag etwas Schwarzes. Zuerst dachte er, es sei eine Taschenlampe. Er bückte sich, nahm den Gegenstand in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten.
Er zog die Schublade ihres Nachttischchens auf, um das Ding wegzulegen – und fand die Gebrauchsanleitung. Er setzte sich auf den Bettrand und las.
Elektroschocker. Eine Million Volt inkl. Batterien & Abwehrspray.
Er schaute in die Schublade. Ja, dort lag auch noch Abwehrspray. Er las weiter.
Gute Effizienz im handlichen Format. Der Stromschlag durchdringt auch dickste Kleidungsschichten und Lederjacken.
Er strich sich über seinen dunkelblauen Blazer.
Wirkt durch seine robuste Erscheinung Furcht einflößend und hält potenzielle Angreifer auf Distanz.
+ Sicherungsschalter
+ Gürtelclip
+ Vergoldete Elektroden
Vergoldete Elektroden. Das sah seiner Frau ähnlich. Unter Gold tat sie es nicht. Vergoldete Elektroden. Rudolfo Rose lachte über seine Luxusfrau. Dann weinte er und ließ die Beschreibung zu Boden fallen.
»Es tut mir leid, Rita«, sagte er leise und schaute dabei auf seine Hände. »Es tut mir leid, dass du Angst vor mir hast.«
Schließlich legte er den Elektroschocker wieder auf das Laken und deckte das Kissen darüber. »Du wirst ihn hoffentlich nie brauchen«, flüsterte er und schloss leise ihre Schlafzimmertür.
»Na, Victory, haste ’ne dicke Lippe riskiert?«
»Ach, Charly, du müsstest erst mal den anderen sehen.«
Sie war mit dem letzten Zug gefahren. Sie hatte Frühdienst und hätte nicht noch einen Tag mit ihrem Kollegen tauschen können. Obwohl sie nur wenig geschlafen hatte, war sie ausgeruht wie lange nicht mehr. Kai hatte sie am Vorabend zum Bahnhof nach Osnabrück gebracht, damit sie nicht umsteigen musste und damit sie noch ein bisschen mehr Zeit zusammen hatten.
Denn der Nachmittag in seiner Wohnung war innerhalb weniger Sekunden vorbei gewesen. Dabei hatten sie eigentlich nichts gemacht. Sie hatten nebeneinander auf seinem Bett gelegen und Fernsehen geschaut und kaum hingesehen, sondern vor allem einfach nur geredet.
Am Anfang über sie. Über Nana Oppenkamp. Über ihr Sterben.
Und auch jetzt noch, im Tageslicht, ohne Kai, am Schreibtisch, mit dem klaren Blick einer Polizeireporterin, hatte Kais Theorie Bestand.
Den Rest würde sie der Polizei überlassen, aber auch die – da war sich Viktoria sicher – würde die gleichen Schlussfolgerungen ziehen.
Sie nahm einen Schluck Cola und tippte das Angebot für den Chefredakteur in den Computer. Ihr Magen knurrte, sie hatte nicht gefrühstückt.
Dafür hatte sie am Abend zusammen mit Kai gegessen. Er hatte ihr aus seiner Küche zugerufen, ob ein Spiegelei okay sei, er könne nicht kochen.
»Sehr gut!«, hatte sie geantwortet. Und als er dann das Spiegelei, das er nicht einmal mit Salz und Pfeffer bestreut hatte, auf ein Toastbrot mit
Weitere Kostenlose Bücher