Luderplatz: Roman (German Edition)
wurde immer lauter. Ihre Finger fühlten Laub, Erde, Tannennadeln, etwas Warmes, Flüssiges. Er trat neben sie. Schwarze Samba von Adidas. Sie schloss die Augen, schmeckte das Blut in ihrem Mund. Er stand neben ihr.
»Bist du total übergeschnappt?« Kais Stimme überschlug sich. Dann wurde sie wieder sanfter. »Viktoria, hey, komm schon.«
Sie wollte die Augen nicht öffnen. Sie hatte Angst. Vor ihm.
»Es, es tut mir leid. Ich wollte doch nur …«
Viktoria kannte die Stimme nicht, die jetzt gesprochen hatte. Ganz vorsichtig blinzelte sie. Ein weiteres Schuhpaar war neben sie getreten. Schwere Profilschuhe in Dunkelbraun.
»O Mann, du blutest ja.« Das war wieder Kai. Er kniete sich neben sie, strich ihr die Haare aus dem Gesicht und tupfte ihr mit einem Taschentuch die aufgesprungene Lippe ab.
Viktoria schaute sich um. Neben ihr lag eine tote Katze, neben der Katze stand ein Jäger. Sie zuckte zu rück. »Hast du Arschloch gerade auf mich geschossen!?« Sie richtete sich langsam auf, klopfte sich den Waldboden von Shirt und Hose, bemerkte ihre Hand, die mit Katzenblut gesprenkelt war, und schaute dem Mann in Olivgrün in die Augen.
»Nein. Äh, nicht, eigentlich auf die wildernde Katze da.« Er tippte mit seinem Gewehrkolben auf den Tierkadaver zu seinen Füßen. »Es … äh, es tut mir leid, ich habe Sie nicht gesehen«, sagte er zu Viktoria, die den Blick nicht von dem toten Tier wenden konnte. Was für ein weiches Fell es hat, dachte sie und wollte es streicheln.
»Mensch Karl, das geht überhaupt nicht. Du kannst doch hier nicht am Tag rumballern. Auch nicht, wenn die Katze wildert.« Kai war aufgebracht.
»Die Katze ist ein echter Nesträuber.«
»Karl, das ist scheißegal. Du hättest gerade beinahe einen Menschen erschossen. Ist dir das überhaupt klar?« Kai war nicht zu beruhigen.
Viktoria bekam weiche Knie. Sie spürte, wie ihr Kreislauf durcheinandergeriet. »Kai … ich. Mir. Wird. Schlecht.« Sie ließ sich fallen. Der Waldboden ist weich. So weich, dachte sie und merkte gar nicht, dass Kai sie aufgefangen hatte.
Nach dem Korn aus Karl Linnenbeckers Flachmann ging es wieder. Sie saß auf dem Beifahrersitz des Geländewagens und atmete auf Kais Anweisung hin gleichmäßig ein und wieder aus.
»Schock«, war seine kurze Diagnose.
»Ich dachte, ich wäre tot«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
Sie blickte auf Karl, der etwas abseits stand und dessen ganze Körperhaltung tiefste Scham ausdrückte.
»Idiot«, zischte sie, und Kai lächelte.
»Na, so langsam bist du wieder normal.«
Sie boxte ihn auf seine Brust. »Was machst du eigentlich hier? Du Retter!«
»Ich lauf dir halt nach.«
»Nein, du radelst mir hinterher.« Sie deutete auf sein Fahrrad, das an einem Baum lehnte.
Kai nickte. »Ach, ich hatte da so eine Idee – wegen Nana. Aber das erzähle ich dir nachher, in Ruhe.«
In Ruhe? Viktoria sprang fast aus dem Auto. »Ne, Kai Westmark. Das erzählst du mir mal schön sofort. Ich bin viel zu neugierig. Also: Was ist mit Nana Oppenkamp? Weißt du, wer sie damals vergewaltigt hat?«
Kai lachte und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Jetzt bleib mal ruhig. Und: Nein, ich weiß es nicht.«
»Ich.«
Kai und Viktoria schauten synchron zu Karl Linnenbecker, der immer noch am Kofferraum seines Wagens lehnte und ganz zerknirscht aussah.
Er räusperte sich. »Ich war’s. Aber, sie wollte es …«
Und dann erzählte er ihnen davon, wie Nana ihn in den Unterstand am Luderplatz gelockt und ihn dazu gebracht hatte, sie zu schlagen. Er schaute Viktoria nicht an, er blickte immer nur über das Feld, auf dem der Mais schon mannshoch in den Himmel ragte und an dessen Ende der Luderplatz lag, direkt neben dem Bach lauf.
Wieder ein Puzzleteilchen.
»Du hättest mir eine Menge Ärger ersparen können, wenn du das eher erzählt hättest«, sagte Kai.
»Ich hatte doch keine Ahnung, dass sie dich anzeigt. Ich hatte doch selber Schiss, dass sie mir etwas anhängen will.«
Viktoria dachte nach. Etwas passte noch nicht.
»Wer hat mir dann die Bilder von ihr geschickt? Die Fotos, auf denen man die vermeintlichen Misshandlungen sieht. War es ihr Freund?«
Kai schüttelte den Kopf.
Viktoria hatte das Gefühl, sie konnte ihre Hirnströme rauschen hören. Doch so sehr ihr Kopf auch arbeitete, es passte immer noch nicht.
»Hat ihr Mörder mir die Bilder geschickt, um den Verdacht auf dich zu lenken?« Sie hatte es nur leise vor sich hingemurmelt, doch Kai hatte sie verstanden.
Er nickte
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