Luderplatz: Roman (German Edition)
langsam. »Ja. Das glaube ich. Und ich weiß auch, wer sie umgebracht hat.«
Rudolfo Rose klopfte zum ersten Mal in seinem Leben an seine eigene Schlafzimmertür. Dreimal, leise und zaghaft. Dann wartete er. Drinnen rührte sich nichts. Sein Herz pochte. Er schloss die Augen und lauschte, ob sie ihn nicht doch hereinbitten würde. Doch es blieb still.
Er wollte sich an die Abmachung halten. Natürlich. Doch er machte sich Sorgen. Es war nach zehn, und er hatte Rita weder gehört noch gesehen. So lange schlief sie sonst nie. Und am Abend zuvor hatte sie blass ausgesehen. Blass und wunderschön. Sie hielt sich auch an ihre Abmachung und hatte ihn zum achtzigsten Geburtstag von Lennart Debowski begleitet. Der Filmproduzent war für sein Alter erstaunlich fit, und der Abend im edlen Borchardts war lang geworden. Rudolfo hatte seiner Frau angesehen, dass sie müde war, und er war ihr dankbar, dass sie sich nichts anmerken ließ, sondern charmant und witzig an seiner Seite durchhielt. Er gab es ni cht gerne zu, doch die Therapiesitzungen, zu der ihn diese dreiste Reporterin gezwungen hatte, taten ihm gut. Er trank weniger, um sich besser im Griff zu haben. Er hatte auf seine alten Tage doch tatsächlich den Sport für sich entdeckt. Jeden Morgen marschierte er um den Grunewaldsee, jeden Abend verschwand er für eine Stunde im Fitnesskeller, den sie sich schon vor Jahren eingerichtet, aber nie genutzt hatten. Rita ließ er in Ruhe. Sie schlief im Schlafzimmer, er war in das Gästeapartment eine Etage darüber gezogen. Die Mahlzeiten nahmen sie gemeinsam ein. Am Anfang aßen sie und schwiegen, doch inzwischen redeten sie wieder miteinander. Und Rudolfo hatte das Gefühl, dass es nicht nur ihm gefiel. Das Reden, das Beisammensein.
Doch heute war sie nicht zum Frühstück nach unten gekommen. Sie saß nicht in ihrem fliederfarbenen Morgenmantel vor ihm und rührte nicht in ihrem Tee.
Rudolfo klopfte noch einmal, immer noch leise. »Rita, bist du wach?« Er hatte seine Stirn gegen die Tür gelehnt und geflüstert. Das Schlafzimmer war tabu. Er hatte es versprochen. Vorsichtig drückte er die Klinke nach unten. Rita lag unter einer Wiese. Nur ihr zarter linker Fuß ragte unter der mit Gräsern und Wildblumen bestickten Seidenbettwäsche hervor. Rudolfo widerstand dem Drang, ihn ganz sanft zu kitzeln.
Er betrachtete ihr ungeschminktes Gesicht. Sie sah alt und jung zugleich aus.
Und sie war noch blasser, als sie es am Abend zuvor gewesen war.
Rudolfo trat näher und hörte, wie schnell und flach sie atmete, und plötzlich wurde ihm klar, dass seine Frau mit dem Tode rang.
»Es tut mir leid, aber ich müsste langsam los.« Karl Linnenbecker trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. »Soll ich euch, äh, Sie mitnehmen?«
Viktoria und Kai lehnten sein Angebot ab und gingen langsam zu Kais Fahrrad. Karl stieg in seinen Geländewagen, gab etwas zu hektisch Gas und hinterließ eine Staubwolke. Viktoria hustete.
»Du weißt, wer Nana umgebracht hat?«
Kai nickte. »Als du vorhin losgelaufen bist, habe ich ein bisschen aufgeräumt. Ich habe dein Handy gefunden, und du hattest Post.«
Patrick! Viktoria spürte, wie es in ihren Eingeweiden rumorte. O Gott, der Volontär! Er hat eine Nachricht von Patrick gelesen. Sie rang um Fassung.
»Du hast sie aber selbstverständlich nicht gelesen!«
»Selbstverständlich«, erwiderte Kai, und Viktoria atmete tief durch.
Die SMS , die Patrick ihr hin und wieder schrieb, wa ren nicht zwei-, sie waren mehr als eindeutig. In wenigen Worten forderte er sie darin zu sinnlosem, leidenschaftlichem und folgenlosem Sex auf. Dass sie die letzten dieser Angebote ausgeschlagen hatte, wusste Kai ja nicht. Er wusste ja nicht einmal, dass es einen Patrick gab, gegeben hatte – oder was auch immer.
Sie riss sich zusammen. Es ging also nicht um eine versaute Kurzmitteilung, sondern um etwas anderes.
»Ich weiß nicht, wieso, aber dieses Briefsymbol auf deinem Display hat mich auf die Idee gebracht.«
Kai schob sein Fahrrad, Viktoria wechselte auf seine Seite.
»Ich weiß, dass man zeitversetzte Kurzmitteilungen verschicken kann. Und ich denke, mit E-Mails geht das noch leichter.«
»Ja – und?« Viktoria tastete mit ihrem Zeigefinger ihre geschwollene Lippe ab. Sie wusste nicht, worauf er hinauswollte.
»Ich denke, Nana hat dir all diesen Mist geschickt.«
»Aber sie war doch schon tot, als das bei mir ankam.«
»Ja, eben.«
»Du meinst, sie hat mir die Mails geschrieben, als sie noch
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