Ludlum Robert - Covert 01
bitte Platz. Diarrhöe ist ein weit verbreitetes Übel, besonders in den älteren Stadtvierteln. Die Mutter der Kleinen hat noch drei Kinder, von denen zwei an Muskelschwund durch Ernährungsstörungen leiden.« Sie zuckte müde die Achseln. »Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr kleines Mädchen mitnehme und sehe, was ich für es tun kann. Morgen früh wird die Mutter kommen und das Baby zurückhaben wollen, dabei leidet sie selbst unter mangelhafter Ernährung, so dass ihr Körper keine Muttermilch produzieren kann. Aber vielleicht gelingt es mir, bis dahin einen Jogurt für das Baby aufzutreiben.«
Dr. Mahuk setzte sich auf den Rand der Liege und ihre langen Beine unter dem schlichten, bedruckten Kleid baumelten in der Luft. Sie trug Turnschuhe und weiße Socken. Im Irak ging es für die meisten Menschen um grundsätzliche Fragen des Überlebens und diese Ärztin, deren Werke einst auch im Ausland publiziert worden waren und die die Welt bereist hatte, um Symposien über Kindermedizin zu besuchen, war jetzt auf Medikamente und Jogurt angewiesen.
»Ich weiß es zu schätzen, dass Sie das Risiko eingehen, mit mir zu reden.« Jon saß auf einem wackeligen Schreibtischsessel und blickte sich in dem spartanisch eingerichteten Raum um, der zugleich als Büro und Untersuchungszimmer diente. Seine Nerven waren angespannt, weil er das beunruhigende Gefühl empfand, dass er nicht viel Zeit hatte. Dennoch bemühte er sich, ruhig zu wirken und zwanglos zu sprechen. Er war dankbar, weil die Kinderärztin bereit war, ihm zu helfen, aber der hinter ihm liegende, lange Tag hatte ihn auch frustriert.
Die Ärztin zuckte die Achseln. »Ich tue nur, was ich tun muss. Es ist richtig so.« Nachdem sie ihr weißes Kopftuch abgenommen hatte, schüttelte sie ihr langes dunkles Haar aus, das auf ihre Schultern fiel. Jetzt wirkte sie zugleich jünger und zorniger. »Wer hätte gedacht, dass es so mit uns enden würde? Ich war während der frühen und vielversprechenden Jahre der Baath-Partei jung. Aufregende Zeiten das Land war voller Hoffnung. Die Partei hat mich zuerst nach London geschickt, wo ich meinen Hochschulabschluss in Medizin gemacht habe, anschließend nach New York, wo ich an der ColumbiaPresbyterian-Klinik gearbeitet habe. Nach meiner Rückkehr nach Bagdad habe ich dieses Krankenhaus gegründet, dessen erste Chefärztin ich wurde. Ich möchte nicht, dass ich auch die letzte bin. Aber als die Baath-Partei Saddam zum Präsidenten kürte, hat sich alles geändert.«
Smith nickte. »Fast unmittelbar danach hat er das Land in den Krieg gegen den Iran geführt.«
»Ja. Es war furchtbar. So viele unserer jungen Männer sind ums Leben gekommen. Nach acht Jahren des Blutvergießens und leerer Parolen haben wir schließlich ein Abkommen unterzeichnet, das uns das Recht zusprach, unsere Grenze ein paar hundert Meter von der Mitte des Shattal-Arab-Flusses an sein östliches Ufer zu verlegen. Wegen einer geringfügigen Grenzstreitigkeit sind all diese Menschenleben geopfert worden! Um es noch schlimmer zu machen, mussten wir diese Gebiete 1990 an den Iran zurückgeben, und zwar als Bestechung dafür, dass er sich nicht in den Golfkrieg einmischte. So ein Schwachsinn!« Sie zog eine Grimasse. »Dann, nach dem Einmarsch in Kuwait und dem entsetzlichen Krieg, kam das Embargo. Wir nennen es alhissar, was nicht nur für ‹Isolation¤ steht, sondern auch dafür, dass der Irak von einer ihm feindlich gesinnten Welt eingeschlossen ist. Weil er alle unsere Probleme dafür verantwortlich machen kann, schätzt Saddam das Embargo. Es ist die wichtigste Basis seines Machterhalts.«
»Und Sie haben jetzt nicht genügend Medikamente«, sagte Jon.
Die Kinderärztin schloss die Augen, zugleich wütend und deprimiert. »Unterernährung, Krebs, Diarrhöe, Parasiten, neuromuskuläre Probleme, Krankheiten aller Art. Wir müssen unsere Kinder ernähren, sie mit sauberem Wasser versorgen und sie impfen können. Jetzt ist in meinem Land jede Krankheit eine lebensgefährliche Bedrohung. Wenn nichts unternommen wird, werden wir eine ganze Generation verlieren.« Ihre dunklen Augen waren tränenfeucht. »Deshalb bin ich der Untergrundbewegung beigetreten.« Sie blickte Randi an. »Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Hilfe. Wir müssen Saddam stürzen, bevor er uns alle umbringt!«, flüsterte sie eindringlich.
Durch die Tür, an der Randi Russell lehnte, hörte sie die gedämpften Stimmen der Ärzte und Krankenschwestern, deren sanfte Worte nur allzu oft das Einzige
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