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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Seminararbeiten, begriff aber nicht, was er las. Dann lief er im Zimmer umher, ertappte sich wieder dabei, dass er das Fenster mied, und zwang sich hinauszuschauen. Sein Blick blieb am Dach der WiSo-Fakultät hängen. Er stellte sich vor, wie der Mann dort am Rand gelegen hatte, das Gewehr im Anschlag. Was war in dem Mann vorgegangen? Trieb ihn Hass? Stachelmann überlegte, was Hass bewirken konnte. Er mochte einen Menschen verändern, ihn zwingen, etwas zu tun, das ihm selbst schadete. Wenn einer zum Mörder wird, bricht er mit seinem Leben. Er weiß, er wird fortan gejagt, lebenslänglich, weil Mord nicht verjährt. Und wenn die Polizei ihn fängt, dann wird er kaum weniger als fünfzehn Jahre im Gefängnis verbringen. Der Grund, ein Mörder zu werden, muss schwer wiegen, jedenfalls bei einem, der nicht verrückt ist oder im Zorn alles andere vergisst. Reicht es als Grund aus, eine andere Meinung über ein historisches Ereignis zu haben? Unmöglich, flüsterte Stachelmann. Es kann nicht sein. Aber was ist es dann? Vielleicht geht es doch nicht um dich. Vielleicht war es Zufall, dass dieser Typ schoss, als du im Von-Melle-Park warst. Aber dann erstanden die Bilder und Geräusche dieses Tages wieder in seinem Kopf. Nein, der meinte dich. Und wie er sich nennt, weißt du auch. Es ist E.T., niemand sonst.

    Endlich war es so weit. Er nahm seine Aktentasche und ging zum Seminarraum. Die Anspannung im Magen schmerzte fast. Wer war gekommen? Und wer unter denen, die gekommen waren, war E.T.? War er überhaupt erschienen? Die Tür des Seminarraums stand offen, aber es war still, als wäre der Raum leer. Als Stachelmann eintrat, erschrak er fast, da saßen acht, nein, neun Studenten an den in U-Form zusammengestellten Tischen und schauten ihn erwartungsvoll an. Er grüßte und setzte sich an den freistehenden Tisch an der offenen Seite des U. Die Aktentasche stellte er neben den Tisch. Er hoffte, die Studenten sahen nicht, dass seine Hände zitterten. Kaum hatte er sich gesetzt, schnellte ein Arm in die Höhe. Stachelmann nickte der Studentin zu, und die sagte: »Herr Stachelmann, wissen Sie, was das bedeutet, diese Schüsse, die Schmiererei an der Wand?«
    Stachelmann hätte fast gesagt: Einer von Ihnen hat es auf mich abgesehen. Aber er sagte: »Wahrscheinlich weiß ich nicht mehr als Sie. Jemand hat geschossen. Aus welchem Grund? Keine Ahnung. Und irgendjemand scheint etwas gegen meine Habilschrift einwenden zu wollen. Er tut es allerdings auf« – er blickte an die Decke – »ungewöhnliche Weise. Sie kennen ja gewiss das Geschichtsdiskussionsforum im Internet.«
    »Aber auf Sie wurde geschossen«, sagte die Studentin.
    Jetzt fiel ihm auf, dass sie hübsch war, intelligente Augen, lange dunkelbraune Haare, schlank. »Er hat vorbeigeschossen.«
    »Haben Sie eine Ahnung, was den an Ihrer Arbeit so reizen könnte?«, fragte ein kleiner Rothaariger, der mit einem Bleistift spielte.
    Stachelmann schüttelte den Kopf. »Nein. Allerdings konstruieren Sie einen Zusammenhang, der nicht bewiesen ist. Ich weiß nicht, ob dieser E.T., was für ein alberner Name, also ob dieser E.T. auch der Schütze ist. Obwohl der Eindruck sich aufdrängt.«
    Schweigen. Stachelmann ließ seinen Blick langsam in der Runde schweifen. Links vorn saß ein langer Schwarzhaariger, der etwas zu alt aussah für einen Studenten. Neben ihm der Rothaarige, der immer noch mit seinem Bleistift spielte. Dann eine Frau mit dunkelblondem Bubikopf und einer randlosen Brille, eine feine Narbe lief fast waagerecht über die Stirn wie ein Strich, aber das machte sie nicht hässlich. An ihrer Seite, den Blick auf die Tischplatte gesenkt, die Studentin, die als Erste das Wort ergriffen hatte. Neben ihr ein Typ mit Gel in den in der Mitte hochgekämmten Haaren. Er zog einen Block, der vor ihr lag, zu sich hinüber und schrieb etwas hinein. Dann schob er ihn zurück. Sie las, schaute ihn kurz an, dann wieder auf die Tischplatte, dann zum Fenster, sie lächelte. Ob sie was miteinander haben? Egal. Neben dem Gegelten eine Pummelige, mit schwarzen Haaren und einem sympathischen Gesicht. Dann einer mit langen zotteligen Haaren, der unentwegt kaute; jetzt schaute er auf seine Uhr, länger, als es nötig wäre, wohl nur, um Stachelmanns Blick auszuweichen. Die Schöne mit den dunkelbraunen Haaren und ihr Nachbar tuschelten jetzt, sie lachte. Neben dem Zottelkopf saß ein Kleiner mit Kindergesicht, den man eher in der Schule vermutet hätte. Er putzte sich laut die Nase.

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