Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
bescheuerten Grund Sie ermorden will und Sie nicht den Hauch einer Ahnung haben, wer es sein könnte und warum Sie bedroht werden.« Sie schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn, schüttelte heftig ihren Kopf und sagte: »Mein Gott, ist das so schwer zu kapieren?«
Stachelmann zuckte zusammen. So kommen wir nicht weiter, dachte er. Es hat keinen Sinn, Brigitte zu bedrohen, da wird sie nur bockig.
Brigittes Miene verfinsterte sich. Sie antwortete nicht, aber Stachelmann sah, es arbeitete in ihr.
Anne stand auf, sagte »Tschüs!« und verschwand eilig. Brigitte grübelte. Stachelmann erhob sich und ging zum Fenster. Es wäre ein Leichtes gewesen, einen Meter zur Seite zu treten, um sich einigermaßen sicher zu fühlen.
»Und?«, fragte er.
»Was und?«
»Wollen wir so weitermachen?«
Sie schnaufte schwer, dann sagte sie: »Gut, ich werde in mich gehen und mit ein paar Freunden reden.«
Ein Lichtblick, endlich. Stachelmann ahnte, die Sache kam ins Rollen. Wenn sie ihm alles sagte, was immer das war, dann gäbe es bestimmt neue Spuren. Er würde die Polizei informieren und vielleicht auch selbst suchen. Er konnte doch nicht nur zu Hause sitzen. Er musste etwas tun gegen die Angst und die Lähmung, die sie auslöste. Früher hatten manche gesagt, er sei ein sturer Bock, und das war meist nicht als Kompliment gemeint. Ja, er war ein sturer Bock, und das sollten die Typen zu spüren bekommen, die es auf ihn abgesehen hatten.
»Gut.«
»Komm morgen Abend, so gegen acht, zu mir. Allein. Und den Bullen sagst du kein Wort. Versprochen?«
»Heiliges Indianerehrenwort«, sagte Stachelmann und lachte. Nun ging es ihm besser. »Und komme ich dann auch dem Schützen auf die Schliche?« Die Neugierde begann ihn zu quälen.
»Warte es ab.« Sie schüttelte den Kopf und verließ das Zimmer.
Er saß eine Weile und überlegte, was Brigitte ihm verraten wollte. Stachelmann gestand sich ein, er verdankte es Anne. Ihr Wutausbruch hatte Brigitte schließlich veranlasst, ihre Haltung zu ändern. Und wenn die morgen sagte, sie habe es sich wieder anders überlegt? Er spürte den Zorn, der ihn dann packen würde. Warum hatte Brigitte solche Angst vor der Polizei? Er könnte ihr nicht versprechen, sie rauszuhalten. Aber was sollte es ihr schaden, wenn sie half, ein Verbrechen aufzuklären und womöglich einen Mord zu verhindern? Gut, sie traute wohl den Bekundungen der Politiker nicht, alte und neue Nazis zu bekämpfen. Hohle Phrasen, und dann konnten die Braunen doch wieder tun, was ihnen gefiel. Es stimmte ja. Aber hier ging es um sein Leben. Aber warum erst morgen? Was wollte sie vorher mit wem besprechen? Wie man ihn am besten auf eine falsche Spur setzte?
Er rief die Diskussionsgruppe auf, wieder neue postings. Eines stammte von einem Alberich:
Das sind die Schlimmsten: Demokrat spielen, aber nach rechts weit offen. So richtig liberal. Antifaschisten wie Thälmann diffamieren, um den Antifaschismus insgesamt in die Pfanne zu hauen. Immer die gleiche Masche.
Ein anderer, unter dem Namen Ausputzer, hatte darauf geantwortet:
Was wahr ist, ist wahr. Die Buchenwald-Legende hat die SED benutzt, um sich quasi heiligzusprechen. Wer gegen sie war, war gegen den Antifaschismus. Aber die gleiche SED hat mit ihren sowjetischen Freunden dafür gesorgt, dass ein Mitglied der KPD-Lagerleitung in Buchenwald, Ernst Busse, in Workuta verreckt ist. Da hatte man einen Sündenbock für ein paar Unerklärlichkeiten in der Taktik der Kommunisten. Ist man kein Antifaschist, wenn man die Wahrheit sagt?
Stachelmann schaltete den PC aus und machte sich auf den Weg nach Hause. Was interessierte ihn noch, wer da was schrieb? Morgen würde er die Sache zu Ende bringen. Fast hätte er eine Melodie gepfiffen auf dem Weg zum Dammtorbahnhof. Er fühlte sich stark und mutig. Jetzt war er überzeugt, dass der Irrsinn bald aufhörte.
Zu Hause blinkte der Anrufbeantworter. Es war seine Mutter. Mit zittriger Stimme bat sie um seinen Rückruf.
Er wählte ihre Nummer und fürchtete, sie würde nicht abheben. Als er sie zuletzt gesehen hatte, drängte sich ihm der Gedanke auf, sie würde bald sterben. Sie war so dünn gewesen, so bleich, so schwach. Es klickte.
»Ja?«
»Ich bin's.«
»Gut, dass du anrufst.« Ihre Stimme klang etwas weniger brüchig. »Kannst du mich bald einmal besuchen?«
»Ja, natürlich. Übermorgen?«
»Samstag? Ja, gut. Am Nachmittag. Bring Kuchen mit, wenn du magst.«
»Gibt es einen besonderen Grund?«
»Brauchst du einen
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