Luegen auf Albanisch
Psychopath auftauchen, hätte sie sich verrechnet.
Lula verbrachte den Tag damit, abwechselnd aus dem Fenster zu schauen und zu versuchen, nicht hinauszuschauen. Kein Auto fuhr vorbei, niemand außer dem Postboten war zu Fuß unterwegs. Das Aufregendste war das kratzende Geräusch, mit dem die Briefe durch den Einwurfschlitz rutschten.
Wie viel Post Mister Stanley bekam und wie viel davon im Reißwolf landete! Den drei Umschlägen, die heute eintrafen – zwei Angebote, das Kreditkartenlimit zu erhöhen, und ein Spendenaufruf –, schien dasselbe Schicksal bevorzustehen, aber eine weitere Sendung flüsterte ihr etwas zu, als sie über den Boden glitt. Auf der dicken, handkolorierten, altmodischen Postkarte erhoben sich zwei Felsformationen wie zerklüftete Penisse. Der Aufdruck lautete »Red Rocks National Monument. Der Kundschafter und das Indianermädchen«.
Die Postkarte war an Mr. Ezekiel Larch adressiert. Lula wusste, dass sie sie für Zeke liegen lassen sollte. Aber Postkarten waren nicht wie Briefe oder E-Mails. Postkarten forderten einen regelrecht heraus, sie zu lesen.
Geschrieben in brauner Tinte und mit Krakelbuchstaben stand da: »Mein allerliebster Zeke, ich höre, Du bist kurz vor dem Absprung zum College. Hier draußen gibt es ein paar tolle Orte, an denen die Luft rein, die Magie nicht krank und dreckig und Verschmutzt ist. Oder zumindest Noch nicht. Willst Du nicht hier zur Schule gehen? Ins College? In den Kindergarten? Kommt mir wie Gestern vor. Bleib in Verbindung. Alles Liebe, Mom.«
Einen Absender gab es nicht, der verschmierte Poststempel war unleserlich, und die Großschreibung war schrullig, um es milde auszudrücken.
Lula legte die Karte auf den Küchentresen, wo Zeke sie nicht übersehen konnte, kehrte dann nach oben auf ihren Wachposten zurück, von dem sie nach dem schwarzen SUV Ausschau hielt und keine Ausschau hielt, bis sie Zekes Schritte hörte.
Als Lula nach unten kam, war Zeke dabei, die Postkarte zu lesen. Sie hätte sie nicht dort liegen lassen sollen. Sie hätte sie irgendwo hinlegen sollen, wo er sie finden würde, nachdem er sich mit Saft und einem Imbiss gestärkt hatte.
Zeke sagte: »College zwischen zwei Penisfelsen? Da bleib ich lieber zu Hause. Für immer.«
»Ich glaube nicht, dass das eine Option ist«, sagte Lula. »Für immer zu Hause zu bleiben.«
Zeke sagte: »Dad würde das gefallen.«
»Stimmt nicht«, sagte Lula reflexartig, obwohl Zeke vielleicht recht hatte. Albanische Adlereltern schubsten ihre Jungen aus dem Nest, sobald sie flügge waren, doch das taten sie vielleicht auch nur, um sicherzugehen, dass sie nach der Scheidung zurückkehrten. Für Lula gab es kein Nest, in das sie zurückkehren konnte. Probleme oder keine, Zeke war ein vom Glück begünstigter Jungvogel.
Lula fragte: »Freust du dich auf den College-Ausflug mit deinem Dad?«
»Du machst wohl Witze«, sagte Zeke. »Dad und ich haben eine von den Sopranos -Folgen gesehen, bevor du herkamst. Mom konnte es nicht leiden, dass ich sie mir mit Dad zusammen anschaute, aber es war fast das Einzige, worauf Dad bestand. Tony hat diesen Typen umgebracht, während Meadow ein Vorstellungsgespräch auf ihrer College-Rundreise führte. So was wäre endcool.«
Lula sagte: »So was wäre überhaupt nicht cool. Komm schon. Du kriegst schulfrei. Ich komme aus dem Haus. Für uns beide ist es ein Tapetenwechsel. Die reinste Win-win-Situation.«
Zeke sagte: »Du bist noch nie mit meinem Dad gereist.« Während er in den Kühlschrank schaute, fragte er: »Soll ich dir von dem schlimmsten Sommer meines Lebens erzählen?« Lulas Vater hatte es genauso gemacht, hatte sich häufig an den Kühlschrank gewandt. Mister Stanley machte das auch. Seltsam, dass Männer tiefgründige Gespräche lieber mit einem Küchengerät führten.
»Das war nach der achten Klasse«, fuhr Zeke fort. »Wir haben eine Familienreise quer durchs Land gemacht. Von New York bis Chicago haben sich Mom und Dad wegen der Klimaanlage gestritten. Dad sagte, sie könne nicht repariert werden, und Mom sagte, das sei typisch Dad: Nichts könne repariert werden. Dad wollte Mom nicht fahren lassen und kroch am Tempolimit dahin. In Nebraska blieben wir für gefühlte zwanzig Jahre. Wir machten nur halt, um zu schlafen oder zu essen oder zu pissen, bis wir in den Westen kamen, und dann hielten wir bei jedem Nationalpark an, und ich stieg aus und kickte ein paar Steine rum, und meine Mom schnalzte mit der Zunge und redete wirres spirituelles Zeug
Weitere Kostenlose Bücher