Luegen auf Albanisch
anzuschließen, könnte ein ungesundes Zeichen für den Rückschritt in die Kindheit eines anderen sein. Oder schlimmer noch, ein Symptom für Depression, eine Krankheit, die es in ihrer Kindheit nicht gegeben hatte. Während des Kommunismus war Selbstmord gleichbedeutend mit einer schlechten Note in politischer Bildung.
Am Dienstag vor Thanksgiving arbeitete Lula mit Estrelia zusammen, räumte auf, versuchte vergeblich, das Haus einladend oder auch nur vorzeigbar zu machen. Hatte Estrelia gerade gesagt, sie fülle den Truthahn für ihre Familie mit Chilis?
»Pica« , sagte Estrelia, kicherte und machte pantomimisch vor, wie ihr Dampf aus dem Mund quoll.
Am Abend erfuhr Lula von Mister Stanley, dass Don jemanden mitbringen würde. Eine Frau. Er sagte: »Ich könnte nicht glücklicher sein. Don hat etwas Spaß verdient.«
»Toll! Wer ist sie?« Lula hatte das Gefühl, als wäre ihr ein dicker kalter Regentropfen in den Nacken gelaufen. Was hatte sie bloß? Sie wollte Don Settebello nicht. Er hatte sie angebaggert, mehr oder weniger, und sie hatte ihn elegant abgewiesen, ohne dass es unschön wurde. Vielleicht hätte sie ihre Hand umdrehen sollen. Sogar mit seinen Fingern spielen sollen. Und wenn nun Don ihre letzte Chance auf eine Romanze gewesen war? Bei ihr zu Hause kannte jeder irgendeine alte Jungfer, die einen passenden Mann abgelehnt hatte, weil sie auf was Besseres gebaut hatte und danach nie mehr gefragt worden war. Lula fiel dieses Spiel ein, die Reise nach Jerusalem, das sie im La Changita beobachtet hatte. Sie kam sich wie das Mädchen vor, das in der ersten Runde ausgeschieden war. Aber wer würde denn einen Helden wie Don wollen, wenn man sich nach einem zwielichtigen Typen sehnen konnte, der einem nachstellte und niedliche Souvenirs aus Chinatown zukommen ließ?
Das Thanksgiving-Dinner sollte um fünf stattfinden, und um drei traf ein Lieferwagen voller Mexikaner mit Baseballkappen ein, die einen in Folie gewickelten Truthahn und Kartoffelbrei in Plastikdosen brachten.
»Mikrowelle?«, fragte einer.
»Das kann ich machen«, sagte Lula.
Mister Stanley wirkte bestürzt. Vielleicht hatte er nach Dons Beschreibung gut aussehende arbeitslose Schauspieler erwartet.
Er sagte: »Ich wette, Don hat diesen Kerlen bei der Einwanderung geholfen.«
Einer der Mexikaner gab Lula ein Blatt mit ausgedruckten Anweisungen.
»Mikrowelle«, sagte er.
Mister Stanley seufzte.
»Keine Bange«, sagte Lula. »Das wird bestimmt köstlich.«
Ausgewickelt wirkte der Vogel gallertartig. Ganz unmöglich, dass er durch aufgewühlte Atome von innen gar würde. Lula schob ihn in den Backofen und nahm ihn, genau wie sie es im Fernsehen gesehen hatte, frühzeitig raus, damit er seinen Saft wieder einsaugen konnte.
Don tauchte um Viertel nach fünf auf. Seine Begleiterin war sehr hübsch, ein paar Jahre älter als Lula. Don stellte sie als Sowieso Sowienoch vor, seit Jahren die gescheiteste Anwältin, die für seine Kanzlei gearbeitet hatte, vielleicht die gescheiteste überhaupt.
»Nennen Sie mir doch noch mal Ihren Namen«, sagte Mister Stanley. »Ich werde alt und taub.«
»Das stimmt nicht, Stan.« Don funkelte ihn an.
»Savitra Dasgupta«, sagte die Frau. Die Spitzen ihrer gut geschnittenen schwarzen Haare streiften die Schultern des plissierten Männerhemdes, das sie trug, in gebügelte Jeans gesteckt. Lula kam sich schlampig und trutschig vor, ein von Savitras messerscharfen Falten sauber durchtrennter Semmelknödel. Auf Lulas Rock waren Soßenflecken, und sie hatte nicht mal richtig gekocht.
Die Gäste blieben im Eingangsflur stehen. Mister Stanley hätte sie hereinbitten sollen, aber das schien Gingers Rolle gewesen zu sein. Mister Stanley hätte jemand anderen einstellen sollen, jemanden, der nicht wie Lula war, sondern häusliche Fähigkeiten besaß, um ihm und seinem Sohn ein echtes Heim zu bieten. Lula sah ihr vorgebliches Heim mit Savitras Augen, genau wie sie es mit Alvos Augen gesehen hatte. Erstaunlich, wie schnell man sich an die Dinge gewöhnte und aufhörte, sie noch wahrzunehmen. Wo verbrachte Alvo Thanksgiving? Bei Truthahn mit Cranberrysoße? Eher schon sturzbesoffen in einer Bar in der Bronx mit seinen Kumpeln und Sportfernsehen und einem Krug selbstgebranntem Raki.
Lula beobachtete Savitra, nahm Unterricht in der Kunst, eine so majestätische Haltung einzunehmen, dass sie, bis sie endlich im Wohnzimmer waren, in dem Lula Salami und Käse und an den Rändern bereits braun werdende Apfelscheiben
Weitere Kostenlose Bücher