Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
hochrangigen Werbekaufmann heiraten kann, ist ganz allein meine Schuld.
Aber es ist noch nicht zu Ende: Meine Mutter ist sauer auf mich, weil mein Bruder eine Sechs in Bio geschrieben hat. Ich, sagt meine Mutter, sei die Einzige gewesen, die den Ernst der Lage begriffen habe, und dennoch hätte ich meine Hände untätig in den Schoß gelegt.
Philipp (mein Bruder, mit dem ich mir die Wohnung teile) ist sauer auf mich, weil ich seit Tagen das Einkaufen vernachlässige, so dass unser Kühlschrank leer und sein Gehirn unterzuckert ist. Bekanntlich bleibt einem mit unterzuckertem Gehirn gar nichts anderes übrig, als Sechsen zu schreiben.
Mein Stiefvater ist sauer auf mich, weil die schreckliche Freundin meines Bruders immer noch bei uns wohnt und unsere Weinbergschnecken mit schweinischen Worten bekritzelt. (Heute Morgen bin ich über eine mit der Aufschrift »lumbago« gestolpert, und ich musste nachschlagen, was das heißt. Es ist das englische Wort für »Hexenschuss«, hättest du’s gewusst? Ich warte nur darauf, dass mein Rücken zu schmerzen anfängt!) Mein Stiefvater ist wie ich der Ansicht, dass Helena (die schreckliche Freundin meines Bruders) verschwinden muss, aber irgendwie glaubt er, es sei allein meine Aufgabe, sie rauszuschmeißen. Ich bin bisher noch nicht dazu gekommen, obwohl ich vorgestern kurz davor war, als ich entdeckte, dass sie noch einen weiteren Untermieter in die Wohnung geschmuggelt hat: eine Ratte mit Namen Amisor, die unter ihrem T-Shirt haust und auf ihren verfilzten Haaren herumklettert.
Überflüssig zu sagen, dass Helena auch sauer auf mich ist, und zwar, weil ich mir die Freiheit genommen habe, ihre Klamotten zu waschen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass die Sachen nur noch vom Dreck zusammengehalten wurden!
Richtig sauer und dabei auch noch gemein waren meine Kolleginnen Cordula und Marianne, als ich von dem nervenaufreibenden Termin mit der Renten-Tante in die Redaktion zurückkam. Birnbaum war natürlich längst gegangen, wahrscheinlich zum Golfen, und Carla war auch nicht mehr im Büro. Sie war nach dem Essen mit Alex so erschöpft, dass sie direkt nach Hause gegangen war.
Also war niemand da, um mich vor den Hyänen zu beschützen.
»Du nimmst anderen wohl gern die Arbeit weg, was?«, fragte Cordula, die das Ressort Kosmetik, Fitness und Diät leitet und stinkwütend ist, weil Birnbaum will, dass ich eine Reportage über eine so genannte Wellness-Tagesfarm im Bergischen Land übernehme. Auf dieser Tagesfarm werden neuartige Wickeltechniken praktiziert, mit denen man angeblich innerhalb weniger Stunden mehrere Kilogramm abnehmen kann und außerdem seine Cellulite für immer los wird. Cordula hatte den dazugehörigen Prospekt mit leuchtenden Augen in der Redaktionssitzung präsentiert, und Birnbaum hat zu meinem großen Erstaunen zugestimmt, eine Reportage darüber zu bringen. Aber:
»Ich will, dass es eine witzige Geschichte wird, in der die obskuren Methoden dieser Leute humorvoll unter die Lupe genommen werden«, hatte er gesagt, und Cordula hatte empört erwidert: »Das sind keine obskuren Methoden!«
»Sehen Sie, genau das meine ich«, hatte Birnbaum gesagt. »Ihnen fehlt einfach die kritische Distanz zu diesen Dingen. Ich möchte, dass Fairy« (– er sagte natürlich nicht Fairy, sondern meinen richtigen Namen –) »diese Sache übernimmt. Dann kann ich sicher sein, dass unsere Leserinnen etwas zum Lachen bekommen.«
Nun, das sollte wohl ein Kompliment sein, aber ich war ehrlich gesagt alles andere als erfreut über die Aussicht, mich demnächst in Zellophan und Algenschlamm wickeln zu lassen und daran auch noch etwas Komisches finden zu müssen. Das Schlimmste ist aber, dass Marianne und Cordula so taten, als hätte ich mich förmlich darum gerissen.
»Das ist mein Ressort«, sagte Cordula, die in der Redaktionssitzung nur noch beleidigt geschwiegen hatte, aber jetzt ihren Mut wiedergefunden hatte. Natürlich, denn nun war ich ja wehrlos und allein. »Du hast doch überhaupt keine Ahnung von nichts! Aber bitte, du wirst schon sehen, was du davon hast.«
Und Marianne, die alte Giftspritze, meinte: »Unsere Fairy« (– natürlich sagte auch sie nicht Fairy, sondern meinen richtigen Namen –) »schleimt sich still und leise auf einen höheren Posten. Aber wenn dir dein Job lieb ist, Cordula, legst du dich besser nicht mit ihr an: Sie ist das Lieblingskind unseres Chefs, und der wiederum bumst die Tochter vom Oberboss.«
Und dann lachte Marianne hämisch, und Cordula grinste
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