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Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Titel: Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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verloren.
    »Heute ist also der Tag, an dem Hanna gewickelt wird«, sagte Marianne auf der Donnerstags-Redaktionskonferenz. »Schaut euch alle noch mal ihren Hintern an! Wenn stimmt, was in diesen Prospekten steht, dann bleibt die Hälfte davon im Zellophan hängen!« Sie lachte, und Cordula lachte mit, die anderen blickten auf meinen Hintern, als sähen sie ihn heute zum ersten Mal. Ich aber wurde nicht mal mehr rot, so abgeklärt war ich. Es gab weiß Gott Schrecklicheres als meinen Hintern.
    Marianne ließ noch nicht locker. »Schaut nur genau hin«, sagte sie. »Morgen hat Hanna nämlich einen Hintern wie ich.«
    »So schlimm wird es schon nicht werden«, sagte Birnbaum und ging mit einem Stirnrunzeln zum nächsten Tagesordnungspunkt über.
    »Was ist los mit Ihnen?«, fragte er, als er mich später auf dem Flur traf. Ich war bereits auf dem Weg zum Parkplatz, wo der Fotograf auf mich wartete, um mit mir zusammen ins Bergische Land zu fahren, und ich hatte es eilig.
    Also zuckte ich nur mit den Achseln. Das machte Birnbaum erst recht neugierig.
    »Ich hab Sie schon ein paar Tage nicht mehr beim Joggen getroffen, und Sie machen immer so einen bedrückten Eindruck«, sagte er. »Haben Sie Kummer?«
    »Eine Frühjahrsdepression möglicherweise«, sagte ich.
    Birnbaum grinste. »Ja, ja«, sagte er, in dem Versuch mich aufzuheitern. »Dieser Sonnenschein und das ewige Vogelgezwitscher können einem schon ganz schön auf den Wecker gehen.«
    »Sie sagen es«, sagte ich und schlüpfte in den Aufzug. Vorbei waren die Zeiten, in denen ich den Aufzug gemieden und brav die Treppe genommen hatte, nur weil das auf einer meiner Karteikarten stand. Wozu sollte ich mich jetzt noch quälen? Der Tag hielt auch ohne Treppensteigen noch genügend Unannehmlichkeiten für mich bereit.
    Der Fotograf, der mich in die Wellness-Farm begleitete, war ein alter Freund von Artdirector Blume, ungefähr genauso alt und genauso geschwätzig. Er hieß Klaus Becker und war allergisch gegen Frühblüher. Auf der etwa halbstündigen Fahrt nieste er ungefähr siebzigmal und erzählte mir alles über Heuschnupfen und Bindehautentzündung, was ich nicht wissen wollte. Die Taschentücher, in die er sich zwischendrin schnäuzte, warf er der Einfachheit halber auf den Rücksitz, und ab und an landete auch mal eine Rotzfahne in meinem Fußraum. Zu allem Überfluss fuhr er erbärmlich schlecht Auto. Er drangsalierte Kupplung, Bremse und Gaspedal, als habe er zwei Holzbeine.
    Als wir schließlich ankamen, hatte ich gar nichts dagegen zum Vermessen in einen Raum geführt zu werden, in den Herr Becker mir nicht folgen durfte.
    Durch mein Erlebnis bei Basti war ich abgebrüht genug, mich noch einmal einer Vermessungsprozedur zu unterziehen, diesmal sogar splitternackt. Die Wellness-Farm-Chefin persönlich, eine Person unbestimmten Alters mit eigenartig starren Gesichtszügen, nahm diese Vermessung mit dem allergrößten Respekt vor, denn schließlich war ich als Redakteurin von Annika gewissermaßen ein VIP-Kunde.
    »Ich verspreche Ihnen, dass dies ein unvergessliches Wellness-Erlebnis für Sie werden wird«, sagte sie mit öliger Stimme. »Und bitte nennen Sie mich Claire.«
    Obwohl ich diesmal nackt war, betrug mein Oberschenkelumfang neunundfünfzig Zentimeter, noch einen Zentimeter mehr als bei Basti. Sofort witterte ich Betrug.
    »Das erscheint mir aber ein bisschen viel«, sagte ich.
    »Sie werden sehen, am Ende der Behandlung werden es einige Zentimeter weniger sein«, sagte Claire.
    Ich glaubte ihr aufs Wort. Schließlich zahlten die Kundinnen mehrere hundert Euro für die Prozedur, die mir noch bevorstand, und für so viel Geld wollten die schon ein paar Zentimeter weniger sehen. Birnbaum wollte eine Glosse? Er würde eine Enthüllungsgeschichte bekommen.
    Nach der Vermessung wurde ich ohne weiteres Federlesens vom Hals bis zu den Knöcheln mit grünlich-grauen Schlamm eingeschmiert, dessen Zusammensetzung mir Claire partout nicht verraten wollte.
    »Das ist unser Betriebsgeheimnis«, sagte sie. »Das müssen Sie verstehen: Wenn Sie die Rezeptur in Ihrer Zeitschrift drucken, werden Nachahmer uns Konkurrenz machen. Denn bisher sind wir die Ersten und Einzigen, die diese besondere Methode anwenden.« Sprach’s und wickelte mich in mehrere Lagen Frischhaltefolie. Als sie damit fertig war, sah ich aus wie – nun, wie jemand, den man mit Matsch eingeschmiert und in Frischhaltefolie gewickelt hatte. Ich konnte mich nur noch wie ein Roboter nach nebenan

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